[Wiki Startseite]PhilippOttoRunge/NachrichtenLebensgang

Ask23: Ask23Wiki > PhilippOttoRunge > NachrichtenLebensgang || NeuesteAenderungen | Einstellungen

Nachrichten von dem Lebens- und Bildungsgange des Mahlers Philipp Otto Runge

Von dem Herausgeber Johann Daniel Runge (HS 2,441ff)

Beigelegt sind die meisten der über Runge und seine Leistungen bisher, größtenteils öffentlich, erschienenen Urteile, Berichte und Zeugnisse.

Non omnis moriar

Philipp Otto Runge wurde am 23. Juli 1777 in der kleinen nahrhaften See- und Handelsstadt Wolgast im damals Schwedischen Pommern geboren, wo unser Vater Schiffsreeder und Kaufmann war; als das neunte von elf Kindern (vier Töchtern und sieben Sühnen) unsrer Eltern #). Er war als Säugling und durch sein Knabenalter ein besonders schwächliches und leidendes Kind, was auf Unterleibsübel bezogen war, die auch sein Leben hindurch an ihm nicht unverspürt geblieben sind; kränkelte auch wiederum namentlich in seinem elften Jahre; und als ihn im Sommer von 1789 der Vater zu einem Besuch bei der verheirateten Tochter im Mecklenburg-Schwerinschen mitnahm, und ihn bei Stolpe, wo über den Peene-Fluß gesetzt werden mußte, ein starker Hund anfiel (wovon die Vorstellung, wie es schien, lebhaft in den letzten Augenblicken vor seinem Sterben in ihm zurückkehrte), geriet er durch Schrecken in einen so schwachen Zustand, daß er nur mit Mühe auf der Reise hin- und zurückgebracht werden konnte und demnächst an einer sehr schweren Krankheit mehr als zwei Monate litt. Diese wiederholte sich noch weit gefährlicher im Frühjahr 1792, und hielt bis in den Sommer an, wo sein Leben nur durch einen starken Aderlaß, wobei sich höchst entzündetes Blut zeigte, gerettet wurde. In diesen Krankheiten, worin wir für ihn der Pflege des, von ihm und uns allen zeitlebens geliebten und verehrten Balthasar's, eines Mannes von dem seltensten Werte als Arzt und Hausfreund, uns zu erfreuen hatten, bewies der Knabe eine überaus rührende Geduld, und es ist entweder in der von drei Jahren vorher, oder wahrscheinlicher in der diesmaligen gewesen, wo er, wie er es in dieser Sammlung in ein paar Briefen schildert, sich durch den Liebesblick seiner Mutter genesen und wie zu einem zweiten schöneren Leben geboren glaubte. Er blieb jedoch auch noch in den folgenden drei Jahren in Wolgast kränkelnd und zart am Körper, zur nicht geringen Besorgnis für die Seinigen. —

#)Da die Eltern und Geschwister des Künstlers in manchen Beziehungen zu ihm in dieser Sammlung vorkommen, so dürfte es zweckmäßig sein, das allgemeinste von Jedes Alter und Lebensverhältnissen hier anzuführen. Die Eltern: Daniel Niklaus, geb. den 30. Dezember 1737, gest. den 22. September 1825. Magdalena Dorothea, geb. Müller den 7. Juni 1737, gest. den 31. Mai 1818. Die Kinder: Maria Elisabeth, geb. den 14. August 1763, gest. im elterlichen Hause den 21. März 1839. Ilsabe Dorothea, geb. den 30. Oktober 1764, verheiratet 1787 an den Pächter Helwig in Mecklenburg, nach dessen Tode durch Ankauf Eigentümerin von Dahlen und Dischley im Strelitzischen, gest. den 6. Oktober 1810. (Ihre Hinterbliebenen Kinder: Wilhelmine, hernach verehelicht mit dem Freiherrn v. Langermann. Christine, verehelichte Nauck.) Regina Charlotte, geb. den 25. Juni 1766, gest. den 8. Juli 1784. Johann Daniel, geb. den 29. November 1767. Anna Christine, geb. den 21. Oktober 1769, gest. den 9. April 1827. Jacob Friedrich, geb. den 12. August 1771, Kaufmann in Wolgast, gest. den 7. Juni 1811. David Jochim, geb. den 19. Juli 1773, Pächter in Mecklenburg. Karl Gustaf, geb. den 18. Dezember 1774, gest. den 19. Dezember 1777. Philipp Otto, geb. den 23. Juli 1777, gest. den 2. Dezember 1810. Karl Hermann, geb. den 12. Januar 1779, Pächter in Mecklenburg. Gustaf, geb. den 13. Dezember 1781, Ackerbürger in Wolgast.

Es waltete in unserem Hause durch den Sinn beider Eltern, — bei der Mutter gemütlicher und selbst mit poetischem Sinne, bei dem Vater durch scharfen Verstand geregelt, — der Geist einer anspruchslosen Frömmigkeit, die sich schlicht an heiliger Schrift und Landeskatechismus mit fleißiger Übung hielt, und in dem Gemüt unseres Otto's mit stillem ewigen Eindruck wurzelte, weniger Nahrung aber in den untern Klassen der Stadtschule fand, wo der Unterricht auch in allen andern Kenntnissen gar dürftig bestellt war. Etwa in seinem zwölften Jahre aber kam er unter die Leitung des Dichters Kosegarten, der, seit dem Herbst von 1785 als Rektor in Wolgast angestellt, eine sehr große und im Allgemeinen wohltätige Lehrgewalt auf seine Schüler übte, die nebenher häufig von der überschwänglichen Ausdrucksart, die dem exzentrischen Manne eigen war, einiges, besonders im Schreiben aufzunehmen sich nicht erwehren konnten, wovon aber bei unserm Otto durchaus nichts haftete. Dieser war überhaupt in fast allen Beziehungen einer von denen, welche in der Schule die geringsten Fortschritte (zumal auch in den Sprachen) machten, und wurde von seinem jüngeren Bruder Karl übertroffen. Gleichwohl hielt er mit diesem in Erwerbung der weißen Meritenbänder um den Hut, die in dieser Schule eingeführt waren, ziemlich gleichen Schritt, da zu dieser auch die gute Befolgung besonders vorgeschriebener Sittengesetze führen konnte; und überhaupt konnte Kosegarten keinen Augenblick die in dem Knaben schlummernden vorzüglichen Anlagen verkennen, deren rascheren Entwicklung wohl nur vorzüglich seine Kränklichkeit widerstand. Jener bezeichnete Otto's eigenste Natur mit dem Ausdrucke Plato's von einer „zarten ungefärbten Seele," und unter Bezeugung der innigsten Liebe zu ihm. Diese fehlte aber auch dem Knaben von keinem, der ihn kannte und sah; denn ihn zeichneten ein sanftes Temperament, das durchaus nur milde Behandlung forderte und erhielt, gütevolles Wesen, zarte Gesichtszüge mit dem Ausdrucke der Innigkeit, und dabei eine natürlich fröhliche Laune mit besonders lebhafter Teilnahme an den Spielen seiner Jugendgenossen aus; Eigenschaften, die sich dennoch still zähmend für den rüstigeren Mut des jüngeren Bruders bewiesen.

Im Sommer von 1788 gelangte er auf der Schaluppe eines der Schiffe des Vaters zum erstenmale nach Rügen, wo auf der Halbinsel Mönchgut leibliche Vettern des letzteren wohnten, wie denn unser Vater selbst durch den seinigen (s. Z. Hauszimmermeister in Wolgast) von dortigen Landleuten abstammte. Über diese Fahrt berichtete mir Otto in einem Briefe, wiewohl er damals erst sehr wenig schreiben konnte. Desto bestimmter zeigte sich in jenen Jahren, wie schon von ganz früher Kindheit an, sein bildendes Talent mit Ausschneiden in Papier, Drechseln und Schnitzen in Holz, Zeichnen von Schattenrissen u.s.w. mit ganz eigentümlicher Laune und Bedeutung in allem; während bloße technische Fähigkeit, mit Zierlichkeit verbunden, auch andern seiner Geschwister eigen war und ihm zu einiger Leitung diente; weit mehr als der stümperhafte Unterricht im Zeichnen, den er unter anderm von einem Maleramtsmeister erhielt. So erinnere ich mich der Darstellung durch die Schere, welche er mir zusandte, von dem kindisch wichtigen Ereignis im Jahr 1790, daß ein großer Marder oder Iltis in einer von seinen Geschwistern und den Nachbarskindern gestellten Schlinge gefangen und todtgeschlagen worden; so wie von drei Jahren später seiner aus Holz geschnitzten und zierlich bemalten Vögel mancherlei Art, als Schachfiguren; auch der Zeichnungen von kleinen Bildnissen und Blumen. Diese kleinen Arbeiten, auf welche sein Sinn unablässig gerichtet war, gaben in späteren Jahren Kosegarten Anlaß, unserem Vater, um diesen im Beschluß über Otto's Bestimmung aufzumuntern und zu bestärken, schriftlich zu versichern (zwar ohne jemals selbst zu einer besonderen Kunstkenntniß gelangt zu sein), „daß der Beruf des jungen Mannes zum Künstler seit seiner Erschaffung entschieden gewesen sei." Zwar hatte Kosegarten früher den Vater angelegen, ausnahmsweise wenigstens diesen Sohn studieren zu lassen, aber die festgewurzelte Abneigung desselben gegen diese Wahl für irgend einen seiner Söhne nicht überwinden können; eine Abneigung, die in nachteiligen Vorstellungen von dem Universitätsleben, so wie von Ver- oder Überbildung im Gelehrtenstande ihren Grund suchte.

Schon von 1791 an bekümmerte sich inzwischen der gute Vater, was er mit den jetzt heranwachsenden beiden Knaben beginnen solle ? 1783 hatte ich, der Handlung gewidmet, das Vaterhaus verlassen; späterhin auch unser Bruder Jacob, den ich 1790 in Lübeck antraf; und David erlernte die Landwirtschaft in Mecklenburg bei dem Manne unsrer Schwester. Das rüstige Treiben des letztgenannten Bruders, der des Absatzes der Produkte wegen öfters nach Wolgast kam, zog den Sinn der beiden folgenden gewaltig an, und sie erklärten sich, befragt, für dieselbe Lebensweise, was jedoch nur dem jüngeren gewährt werden konnte, für Otto hingegen bei seiner schwachen Leibesbeschaffenheit nicht zuträglich gehalten wurde. Er überzeugte sich hievon denn auch bald selbst, und schrieb mir 1792 (als ein nahes Etablissement für mich zur Sprache kam) , er habe zwar zur Handlung nie rechte Lust gehabt, wolle aber, da er sich zu einem dritten Betriebe nicht entschließen könne, diesen nach meinem Wunsche, und zwar um bei mir zu kommen, nur wählen, da er denke, daß eine andre Wahl, wenn sie ihm künftig anstehen sollte, dort so gut wie hier werde getroffen werden können. Von einer Bestimmung zur Kunst schien damals gar nicht die Rede sein zu können, bei des Vaters und unser Aller Unkenntnis davon, wie darauf ein Fortkommen möchte zu gründen sein. —

Im Frühling desselben Jahres verließ Kosegarten, zum Predigeramt in Altenkirchen auf Rügen berufen, Wolgast, wodurch denn die geistigere Lebendigkeit an diesem Ort einen fühlbaren Abbruch erlitt. Meine Brüder genossen weiteren Schulunterricht bei dessen Nachfolger; zur selbigen Zeit hatte aber auch für sie die Unterweisung in der Geometrie aufgehört, die sie von einem Zimmermeister gehabt, der Otto mit großem Fleiße obgelegen, und an deren Stelle jetzt für ihn eine in der Buchhalterei trat, die ihm später, so wie im Rechnen, der von Lübeck zurückgekehrte Bruder Jacob erteilte. Die Ansicht, daß Otto sich weiterhin doch noch vielleicht der Kunst werde widmen können, wenn seine Anlage dazu sich auf's deutlichste aussprechen würde, hatte gleich anfangs auch mich eingenommen, und die Erwartung für ihn, bald in die weite Welt, und namentlich nach Hamburg zu kommen, gewannen er und auch ich, so wie damit auch uns selbst einander wechselseitig, mit jedem Jahre mehr lieb, so daß es in ihm eine rechte Eifersucht erregte, als ein Vetter in ungefähr gleichem Alter mit ihm früher als er nach Hamburg in die Handlung kam. Die Bemühungen, auch Otto auf einem Comtoir eines älteren Handlungshauses in Lübeck oder Hamburg unterzubringen, schlugen fehl, und nach dem Wunsche des Vaters, so wie nach meinem eignen, kam es zu dem Entschlüsse, ihn in meinem, 1793 in Hamburg errichteten Geschäfte anzuwenden, jedoch verzögerte seine fortwährende Kränklichkeit die Ausführung, obgleich er zur Übung unter Jacob's Leitung und Teilnahme schon einen kleinen Handel mit Landesprodukten angefangen hatte. Doch, daß sein Herz nicht sehr dabei war, beweiset unter anderem der Gram, den er über den Tod eines jungen Malers in Hamburg, Namens Eckhardt, den ich ihm gemeldet, und von welchem er viel für sich gehofft, an den Tag legte. Ich fand ihn 1795 im Mai, als ich ihn abzuholen hingereiset war, noch bedeutend unpäßlich, und trat die Reise mit ihm nicht ohne Bedenklichkeit an. Die Meinigen hatten mich vorher gewarnt, ihm weder in geistiger noch körperlicher Hinsicht zu viel Anstrengung zuzumuthen. Er war damals gar lieblich in der äußern Erscheinung mit dem offenen Blicke der seiner Familie eignen blauen Augen; doch hatte sich sein blondes Haar schon in sehr straffes dunkelbraunes, mit einem Wirbel darin an der einen Seite der Scheitel verwandelt, und er trug über der einen Augenbraue eine Narbe, die einst von mir veranlaßt war, als ich in früher Jugend mit ihm als Kinde in einem Winkel der Stube stehend ihn vor mich hinausschieben wollte, er umfiel und mit der Stirn auf die scharfe Ecke eines Hausrates schlug; eine Verletzung, die höchst gefährlich hätte werden können, die er aber ohne allen Unwillen hinnahm. — Karl, gegenwärtig schon in der Landwirtschaft angewendet, war ihm ein ziemliches Stück über den Kopf gewachsen (wie denn Otto, obgleich im Ganzen von guter Länge, doch von uns allen der kleinste im Wuchs geblieben ist) und gar stattlich; Otto sah ihn, wenn er einmal aus Mecklenburg nach Hause kam, fast wie eine Braut mit liebendem Betrachten an, und die so entschiedene Trennung von ihm und David wurde ihm, wie im väterlichen Hause selbst die von der ältesten Schwester, am schwersten.

Wir reisten am 3. Juni nach Hamburg ab, wo der Jüngling in seinen anziehenden Eigenschaften von meinem Freundeskreise freudig aufgenommen, sogleich aber auch zu untergeordneten Verrichtungen in unsrer Commissions- und Speditionshandlung beträchtlich verwendet wurde. Diese war zwei Jahre früher auf dem Grunde eines ziemlich romantischen Freundschaftsbundes, der sich zwischen mir und drei Anderen (Speckter, Hülsenbeck und Wülffing) teils im persönlichen Verkehr zu Hamburg, teils in schriftlichem aus weiterer oder näherer Ferne, geknüpft hatte, mit dem Zwecke immerwährender Vereinigung an demselben Orte begründet worden. Verschieden genug zwar, wie wir in natürlichen Anlagen und deren Ausbildung uns fanden, wurzelte gleichwohl eine mächtige Neigung zu einander, und, soviel die drei erstgenannten betraf, vornehmlich in dem starken Hange zum Lesen und wechselseitigen Mitteilen meistens poetischer und philosophischer Schriften der Zeit und Vorzeit, einem Hange, welchem wir denn auch seit unsrer Vereinigung die meisten Stunden hindurch, welche den Geschäften des gewählten Berufs abgewonnen werden konnten, vorzüglich an fast täglichen Leseabenden, immer weiter nachgaben. Dies mußte denn aber auch, bei aller Innigkeit des Genusses, der Natur der Sache nach zu mancherlei Zweifeln, Verneinungen und Kämpfen führen, die, noch dazu unter den Störungen eines stets zunehmenden Geschäftsdranges, dem neuen Ankömmlinge fremd und befremdlich entgegentraten. Erquicklich vermannichfaltigt wurde, inzwischen auch sein Verhältnis durch mehrere unsrer jüngern Freunde, namentlich Besser, welcher in der Bohn'scken Buchhandlung arbeitete, dessen Bekanntschaft unsre Lesebedürfnisse uns erworben hatten, und dessen liebevollem und liebebedürftigem Gemüt sich Otto gleich zur innigsten Freundschaft anschloß; und Friedrich Perthes, der, in gleichem Verhältnis in der Hoffmann'schen Buchhandlung lebend, uns zuerst durch Besser zugeführt wurde, und der 1796 eine eigne Buchhandlung errichtete; weiter noch dadurch, daß unser Hülsenbeck, ebenfalls 1796 und im folgenden Jahre (mit einer Tochter des verehrten Claudius) Perthes, sich verheirateten, beide Ehen in den nächsten Jahren mit Kindern gesegnet wurden, und sich so ein lieblicher Familienumgang für das Herz Otto's eröffnete.

Dazu kam, daß, da Hülsenbeck zur Erweiterung unseres Geschäftes 1796 eine Reise durch Deutschland und England unternommen, unsre Brüder Jacob und David zu uns kamen, und ersterer zu unsrer Hilfe den Sommer hindurch bei uns verweilte; Speckter auch um Johannis eine Geschäftsreise nach Wolgast machte, und Otto zu einem überraschenden kurzen Besuch der lieben Heimat mitnahm. Otto hatte schon 1793 eine Lustfahrt nach Stade mitgemacht, dort den Übungen von für England geworbenem Militär zugesehen, und machte hievon, so wie von der Unlieblichkeit der Straßen und Wohnungen in Hamburg in seinen Briefen nach Hause launige Beschreibungen; und bei allem diesem bekam seinem Körper die Nebel- und Dampfluft der Stadt, auf sonst nicht eben gewöhnliche Weise, im Ganzen zusehends, die Muskeln der Arme und Brust bildeten sich zu seltener Stärke aus, während der untere Teil des Körpers, besonders um die Hüften, schmal blieb und immer geblieben ist. Unter den manchen begünstigenden Einflüssen auf Geist und Körper, und besonders auch, da die Kunstliebe und der Sammlergeist unseres Speckter's ihm den Genuß einer Fülle von schönen Kupferstichen und Gemälden, in dessen und Andrer Besitz, gewährte, gab sich sein Trieb zu Kunstbildungen mit jedem Monate auffallender und in dem Maße kund, daß es, mit solcher Liebe bei uns zu ihm und zur Sache, unumgänglich war, demselben durch Eröffnung von Gelegenheit, um Unterricht zu erhalten, Genüge zu tun; besonders da die Comtoirarbeiten ihm immer sichtlicher zu einer Seelenqual wurden und er ihnen unter diesen Umständen auch nicht gar gebührend zu entsprechen vermochte.

Schon hatten wir im Anfange von 1797 den erwähnten, mit ihm aufgewachsenen Vetter zu seiner Hilfe in Arbeit genommen, und im Sommer erhielt Otto jeden Morgen eine Stunde im Zeichnen von unserm lieben Freunde Herterich, der, nur fünf Jahre älter als er, durch reinen und wahren Sinn, mit zarter Auffassung, ihn zu einer an Verehrung grenzenden Liebe anzog. Es fand in demselben Jahre eine Kunstausstellung in Hamburg statt; auch sah Otto gern den Arbeiten zu, welche der Bildhauer Ohmacht aus Straßburg hier ausführte; so wie ihn auch unser damaliges Lesen der Odyssee in der ersten unnachahmlichen Übersetzung von Voß unbeschreiblich traf und erhob. Er ließ diesem für sich allein mit großer Begierde die Lesung der übersetzten Ilias, so wie hernach des Virgil's und Ovid's folgen, und wir Alle wurden von andern Epischen, vorzüglich dem Altsassischen Reineke de Voß unsäglich ergötzt. Der Odysseus reizte ihn, seine Kräfte im Bogenspannen zu versuchen, wozu ihm ein Werkzeug zur Hand kam, und er sich das Holz zu andern von den Brüdern in Mecklenburg zu verschaffen suchte. Seinen Wunsch, der Malerei leben zu können, sprach er gegen Weihnachten an die älteste Schwester in Wolgast mit sehnender Seele bei Gelegenheit der Zusendung ausgeschnittner Bilder aus, so wie gegen seinen lieben Besser, der auf ein Jahr, um philologische Vorlesungen zu hören, zu Otto's Schmerz nach Göttingen abgegangen war; wie ihn denn 1798 bald wieder ein, gleichfalls mit Liebe von ihm umfaßter, auch dem Buchhandel gewidmeter Freund, Enoch Richter, nach seiner Vaterstadt Leipzig zurückkehrend, verließ. In diesen Zeiten machten die Schiller’schen Musenalmanache, Horen, und solchen folgend die Bestrebungen der Brüder Schlegel, und Tieck's, lebhaften und meist wohlgefälligen Eindruck unter uns, und die Phrasen aus dem gestiefelten Kater des letzteren gingen zumal den Jüngern stets geläufig durch den Mund.

Zu dem mehr in sich gekehrten Wesen unseres jüngsten Bruders Gustaf wurde von den Eltern mein Vorschlag passend geglaubt, ihn als Lehrling in die junge Buchhandlung von Perthes eintreten zu lassen, welcher einwilligte, wie denn auch der Knabe selbst nichts dawider einzuwenden fand. So brachte ihn denn Jacob früh im Jahr1798 nach Hamburg, wo ich alsdann mit diesem und Speckter es wegen Otto's in Überlegung nahm, da sich die Marter für ihn, in unsern bisherigen Geschäftszweigen zu arbeiten, immer klarer heraus gestellt hatte, ob nicht bei dem Vater für ihn eine gute Unterstützung auszuwirken wäre, damit er seine beste Zeit auf Künste und Wissen schafften verwenden könne und nur wenig oder nichts für uns zu tun übrig behalte; zu welchem Zweck wir dann noch einen Handlungsdiener anzunehmen haben würden. Sie fanden mit mir, daß das, was Otto bei uns treibe, für seine Anlagen zu wenig scheine, und daß, wenn wir, die Beratenden, es nicht so gut gehabt hätten, wir um so mehr die Gelegenheit wahrnehmen sollten, es Andere genießen zu lassen. Wir glaubten einen neuen Ausweg zur Verbindung verschiedenartiger Dinge ausgefunden zu haben, wenn wir, auch der Vorliebe Speckter's angemessen, mit unserm schon sehr mannigfaltigen Geschäft noch einen Kunsthandel verbünden, an welchem durch seine möglichst auszubilden den Talente Otto dereinst ein wichtiger Teilnehmer werden könnte, und zu welchem die durch die Weltumwälzungen nach Hamburg damals zum Verkauf strömenden Bilder den Stoff liefern könnten. Fast schon im voraus stellte der gute Vater alles unserm Ermessen vertrauensvoll anheim, und es sollten nun ungefähr um Johannis die ganzen Vormittage von Otto auf seine Kunststudien verwendet werden, dessen Seele zu dem lebhaftesten Freudengefühl durch diese glänzenden Aussichten und den herrlich sich erschließenden Frühling erregt wurde. Dazu kam noch die Bekanntschaft mit Tieck's Sternbald, und der Aufgang einer idealischen Liebe zu einem weiblichen Wesen, die mir erst nach seinem Tode aus seinen Briefen an unsern sel. Besser zur Kunde gekommen, und wovon der Gegenstand mir gänzlich unbekannt geblieben ist. Um die Johanniszeit machten wir jedoch erst, ziemlich stark an Zahl, eine Erholungsreise über Lübeck und durch die schönen Gegenden des östlichen Holsteins nach Kiel und zurück, deren Reize und mannigfaltigen Abenteuer unser aller, am meisten aber Otto's Sinne mit den lieblichsten Bildern füllten.

Worauf ich im Juli eine Reise nach Hause machte. Während dieser meiner Abwesenheit ereignete sich nun die für Otto so erschütternde Katastrophe von Herterich´s Abreise und Außenbleiben, die jedoch noch glücklicher als er dachte gelöst wurde. Unsre Maria kam mit mir auf einige Monate nach Hamburg und mit dem Anfange Septembers wurde Otto so gut als gänzlich vom Comtoir entlassen, erhielt auf Herterich's schriftlichen Rat nun täglich zwei Stunden im Zeichnen von dem, unter Anton Tischbein und Casanova gründlich und trefflich gebildeten Hardorf, einige schwache Anweisungen zu den ersten Handgriffen beim Ölmalen von dem alten Eckhardt, auch mathematischen Unterricht, ferner das Zusehen bei anatomischen Sektionen für junge Wundärzte u.s.w., alles unter einigem Leiten und Zuraten von Speckter, und behielt noch Zeit übrig, sich eignen Kunstübungen begeistert hinzugeben. Sein lieber Besser kam um diese Zeit von Göttingen zurück und vereinigte sich mit Perthes zu dessen Handlung. Maria kehrte wieder nach Hause, und unser Jacob, der in der Tischlerkunst recht geübt war, rüstete Otto mit einer Staffelei von Birnbaumholz aus, die auseinandergenommen und in ein Kästchen gelegt werden konnte.

Die ersten Hefte der von Goethe herausgegebenen Propyläen kamen unserm Otto nun in die Hände, und natürlich mußten die lehrreichen Urteile in denselben, die Betrachtungen über das Wesen und den Zweck der Kunst, so daß er zuerst einzusehen glaubte, was sie sei, ja die einnehmenden Verheißungen eines bestimmten Wirkens für ihre Förderung, die Seele eines, grade seine Laufbahn antretenden Kunstjüngers füllen. Er hatte und nahm jetzt Teil an den abendlichen Zusammenkünften der Künstler und Liebhaber bei den unschätzbaren Schmidtschen Sammlungen. Eine Auswahl dieser Männer machte im Anfange von 1799 den Plan zu einer Kunstreise durch Nieder- und Obersachsen; Otto sollte auch dabei sein, und er würde außer den allgemeinen Vorteilen noch den besondern gehabt haben, seine Freunde Richter in Leipzig und Herterich in Dresden wieder zu sehen, allein das Ganze zerschlug sich. Ihm wurde dafür ein Genuß andrer Art; unser Bruder Karl war zu einem Besuche angekommen und begleitete im Mai nebst Otto die Mutter von Perthes nach Wolgast, um des Zurückbringens ihrer Tochter willen, die unsre Schwester im Herbst dahin mitgenommen hatte. Otto konnte nicht umhin, in der Heimat einige Bildnisse in Kreide zu zeichnen (wie hernach in Hamburg mit immer größerem Glücke), fand aber dort, daß er in der trüberen Hamburgischen Luft kurzsichtiger geworden war. Von dieser Fahrt, die über Lübeck und Stralsund ging, hat er eine Beschreibung in großer Heiterkeit mit einigen bildlichen Verzierungen gefertigt. Sie war aber nur das Vorspiel zu einer größeren, die wir wieder in guter Anzahl, da uns die Holsteinische vom vorigen Jahre so sehr gelabt hatte, im August über Ratzeburg, längs dem westlichen Ufer des Schaalsee’s, nach Schwerin, und zurück über Ludwigslust und Boizenburg machten. Auf dieser verließ uns der jüngste Bruder Gustaf in Schwerin, um nach Hause zurückzukehren, indem ihm der Lehrlingsstand im Buchhandel, wo es nicht eben weniger arbeits- und drangsalvoll wie in meinem Geschäft zustand, nicht hatte zusagen wollen. Den bevorstehenden Abschied auch Otto's bedenkend, fing nun mir das Herz sehr groß zu werden an in dem Gefühl, daß ich ihm in keiner Beziehung irgend genügend hatte sein können, was ich sein zu wollen stets mich gesehnt hatte.

Sein Wunsch und Wille war, so bald als möglich seinem Herterich nach Dresden zu folgen; benachrichtigt aber, daß der akademische Kunstunterricht dort, nachdem kein neuer Direktor an Casanova's Stelle ernannt worden, der mangelhafteste sei, wurden wir einig, daß es am besten sein würde, wenn er den Winter über sich zuvor in Kopenhagen aufhielte, wo damals unter rühmlich bekannten Lehrern ein geordneter Zustand in diesem Betracht waltete. Von Dresden wurde für die Folge Besseres gehofft und Otto gedachte, zu Ostern dort mit Eiffe#) zusammenzutreffen, dem einzigen Mitschüler von ihm in Hamburg bei Hardorf, der ihm wert geworden war, und mit ihm alsdann dort auf einem Zimmer zu wohnen, falls die dürftigen Umstände desselben ihm ein Studium auswärtig überall gestatten würden. Otto wurde mit guten Empfehlungsbriefen, unter anderem an Herrn Rist, einen Freund von Perthes und Besser, versehen. Es ist unnötig, zu sagen, daß sein Abschied von Hamburg, obwohl durch so helle Hoffnungen gemildert, ihm nicht leicht wurde. Er reiste am 18. Oktober 1799 unter unsern Segenswünschen ab.

#) Johann Gottfried Eiffe aus Hamburg, etwas jünger an Jahren als Runge, von sehr regem Gefühl für das Kunstschöne, und die Erfordernisse zur Darstellung mit Leichtigkeit auffassend, folgte unserm Runge 1800 nach Kopenhagen und begleitete ihn weiterhin nach Dresden, von wo er, später als jener, mit schönen Fähigkeiten nach Hamburg zurückkehrte; auch befinden sich hier mehrere seiner Werke. Er mußte sich dann jedoch meist mit Stundengeben ernähren, und konnte dadurch unter drängenden Umständen so wenig vor sich bringen, daß er sich um das. Jahr 1816 oder 1817 entschloß, nach — Cap Haiti zu gehen, wo ein guter Maler etwas seltenes sein mußte und von der damaligen Regierung Vorschüsse versprochen wurden. Dort hoffte er doch soviel zu erwerben, um für Frau und Kind etwas nach Hause übermachen zu können. Er mahlte für Christophe Bildnisse und in dessen Palaste Zimmer aus, welcher tyrannische Negerkönig ihn aber, so wie er merkte, daß er auf die Rückkehr dachte, knapp hielt, so daß er endlich 1318 in Not und Elend dort umkam.

Von Kiel, wo er sich auf dem Packetboote einschiffte, und von Kopenhagen, wo er nach einer zuletzt stürmischen Fahrt am 26. anlangte, gab er recht frohe Berichte von seinen ersten Erfahrungen; seine Briefe wurden von dem an das erquicklichste Gemeingut in meinem und dem lieben Perthesschen Hause. Er hatte auf dem Packetboote die sämtlichen Passagiere durch seine Laune angezogen; sie warfen eine verschlossene Flasche aus, mit einem Papier darin, worauf er Stand und Charakter eines jeden, nebst dem Zweck der Hinreise desselben in Versen angegeben hatte. Es war unter Andern ein angehender Journalist dabei, den er mir als „Terrorist, Jacobiner, Anti -Claudianer" schilderte, der ihm versichert, „es lasse sich mit der bloßen Vernunft dahin bringen, daß man mit gutem Erfolg alle zehn Gebote übertreten könne." —

Von den Professoren an der Kunstakademie wurde er sehr freundlich aufgenommen, und die Probearbeit, die Abildgaard ihm gestattete, war der Art, daß es seine Erwartung übertraf; er suchte sich etwas selbständig zu stellen, gestand sich und uns aber sehr schnell und gutmütig, daß er sich auf einiger Eitelkeit ertappt habe; “dafür," schrieb er, „hielt ich mich sicher, und es schleicht sich dennoch etwas durch." Er benutzte eine sich darbietende Gelegenheit zur Erweiterung seiner Kenntnis in der Perspectiv, berichtete über alles und insonderheit über das Mangelhafte, so er in den Unterrichtsanstalten fand, an seinen Meister Hardorf, ergriff mit Eifer den Gedanken der Composition eines großen Familienbildes für das Haus unseres Bruders in Wolgast, führte aber die bittersten Klagen darüber, daß die Lehrer auf die Richtungen, in welchen er seine Kenntnisse zu erweitern gewünscht hätte, nicht eingehen wollten, und den Trieb nach eignen Produktionen, welchem er sich bisher kindlich hingegeben, beschränken mochten. — Er schilderte in einem Briefe an seine Mutter das Entzücken, welches er zu Weihnachten durch das Bildnis der Tochter seines Speisewirthes für deren Bräutigam hervorgebracht.

Er wurde aber auch zu Anfang des folgenden Jahres in die hochgebildeten Kreise der Dichterin Brun (geb. Münter) eingeführt, wozu ihn ein Freund, den er auf dem Packetboote kennen gelernt, in dem, was ihm an Lebensart abgehen möchte, zuzustutzen emsig beflissen sein wollte, was jedoch verlorene Mühe war, da die Annehmlichkeit seiner natürlich zutulichen Art und sein offener Sinn ihn sehr bald bei der wohlwollenden Wirtin und den Ihrigen so beliebt, ja, sowohl in der Stadt als auf dem Landsitze ihres Gatten, als einen lieben Hausgenossen, der manchen Ergötzlichkeiten dort einen lebendiger erfreuenden Sinn zu geben wußte, vertraut machten. Er hatte hier den Genuß von vielerlei schönen Kunstsachen, vorzüglich Kupferstichen nach den herrlichsten Bildern Italiens, so wie der Landschaftsgemälde von Heß, was alles, bei der sinnigen Unterscheidung des Echten vom Unwahren, die ihm inwohnte, anregend für ihn und Andre wirkte. Auch lernte er den beständig in diesem Hause anwesenden von Bonstetten, den Freund von Johannes Müller, kennen, den auch er anzog, und dessen verständige und gemütliche Gespräche ihn nicht wenig belehrten; ja er wurde zum Lehrer eines Sohnes desselben im Zeichnen.— Vornehmlich in der ersten Hälfte des Jahres 1800 war der Wechsel der Meinungen zwischen Runge und seinen Freunden in Hamburg über den Gang, den er zur Erlernung der Kunst zu nehmen habe, sehr lebhaft; wenig berechtigt, wie er sich damals noch hielt, hierin ohne unsern Rat zu Werke zu gehen. Jugendlich unerfahren, dünkte ihm das Unterrichtswesen in Kopenhagen viel unvollkommener, als es in der Tat sein mochte, und die größeren Kunstschätze an mehreren Orten Deutschlands, sonderlich in Dresden, reizten ihn in der Vorstellung sehr; auch sehnte er sich herzlich nach Kunstgefährten seines Alters; ein Verlangen, das jedoch, vornehmlich durch die Bekanntschaft mit Böhndel, aus dem Schleswigschen, einem Schüler von Wiedewelt und Juel, in den ersten Frühlingsmonaten, so wie durch die Hinüberkunft Eiffe's, den er als Stubengenossen aufnahm, gestillt wurde.

Wie die Verhältnisse einmal standen, mußte er einen Lehrer als hauptsächlichen Meister für sich wählen; und es blieb ihm eigentlich keine andre Wahl, als zwischen dem gründlichen Abildgaard, unter welchem er schon im Hause, so wie später in den öffentlichen Kunstsälen sich im Zeichnen übte (mit der höchsten Emsigkeit), und Juel, dessen wohlverdienter Ruf mehr nach auswärts erschollen war; allein die wenige Mitteilsamkeit beider war ihm ein großer Anstoß. Speckter und Herterich rieten jedoch beide, daß er Juel für sich zu gewinnen suchen möge, weil er für das Mahlen unter den damals lebenden Künstlern kaum irgendwo einen empfehlungswerteren finden werde, und, wie H. aus frischer Erfahrung bezeugte, sich damals in Dresden so gut als gar kein Unterricht vorfinde, auch die dort an anwesende Künstler zwar anders, doch im Ganzen nicht eben besser, als die in Kopenhagen zu sein schienen. Jedoch solle er im Sommer allerdings nach Dresden abgehen, denn, so meinte Speckter, um länger in Kopenhagen zu bleiben, sei der Unterschied zwischen ihm und den gewöhnlichen Schülern doch zu groß. Von andern Akademien wurde dabei immer die in Wien als die vorzüglichste ihm angerühmt. Herterich war doch mehr dafür, daß er auch noch den Sommer in Kopenhagen bleibe, allein dieses sagte ihm gar nicht zu, und er wußte auf die Frage, was ihm dort abgehe? doch immer manches einzuwenden. Noch im Winter legte er sich mit Eifer auf das Studium der Geometrie nach dem Euklides von Lorenz, so wie der Perspektiv nach Lambert. Das neueste Heft der Propyläen vermehrte seine Ungeduld durch Nachrichten von den vollkommenem Anstalten, besonders in Paris, und ließ ihn einiges (zwar nur für sich) in Lösung der Weimarschen Preisaufgaben versuchen.

Auch Speckter ging, wohl durch die Propyläen veranlaßt, nun zu der Meinung über, daß es wohl schlechter wie in Kopenhagen nirgends bestellt sein könne; allein Herterich beharrte auf der Ansicht, daß Runge, ehe er weiter gehe, in den Anfängen des Malens erst einen möglichst guten Grund gelegt haben müsse, wo alsdann Dresden allerdings den Vorzug verdienen werde, indem ihm dort würde zugetraut werden können, unter solcher Voraussetzung dem eignen Genius zu folgen. Der Irrtum über Wilh. Tischbein's sein sollende Berufung als Direktor nach Dresden verwirrte eine Zeitlang beträchtlich, und als dieser verschwunden war, sah auch Runge das Richtige in Herterich's Rat endlich ein, insonderheit da Juel, durch die Zeichnung: Triumph des Amor's, für den jungen Künstler eingenommen, ihm unter seinen Augen arbeiten zu dürfen zusagte, und das Versprechen um die Hälfte des Jahres erfüllte. Herterich versicherte ihm, daß die Leitung dieses Mannes selbst besser als Tischbein's für ihn sein werde, und ermahnte ihn, die Gelegenheit dazu als ein seltenes Glück zu schützen; er wählte sie, nachdem wir ihm die eigne Entscheidung anheimgestellt hatten, und sie hat ihn wohl nie gereut, es ist ihm dieser Meister stets eine reine und liebe Erinnerung geblieben. Noch in Dresden stand er mit ihm in einigem Briefwechsel, indem er ihm Malerbedürfnisse besorgte, und wurde er dort durch Nachricht von seinem plötzlichen Tode sehr betrübt. — Gegenwärtig in Kopenhagen war es für Runge entschieden, den Sommer noch dort zu bleiben, so wie bald auch dasselbe für den Winter. —

Einiger Kunsthandel war von dem Hause in Hamburg wirklich angefangen worden, und wir machten uns die Hoffnung, Tischbein, der bei uns erwartet wurde, und von dem bekannt war, daß er in Neapel manches Geschäft (selbst auch Fabriken) begonnen, in dieses Interesse zu ziehen. Runge fand dieses, in Aussicht auf seine Zukunft, recht schön, besorgte überdem schon für uns in Kopenhagen Ankäufe von Kupferstichen u.s.w. Mit denselben sandte er uns einiges von seinen Zeichnungen, und nahm die sehr strenge Kritik, die wir ihm darüber Namens Hardorf's mitteilten, sehr dankbar auf. Großes Lob erhielten aber im Ganzen, auch von jenem, seine Zeichnungen nach Antiken, sein Triumph des Amor's, und sein Bildniß. Im April war die Direktorstelle in Dresden endlich durch Grassi besetzt worden; dieses konnte nun aber nichts mehr in dem beschlossenen Gange unseres Künstlers ändern. Er hatte jetzt ein Bündnis mit Böhndel geschlossen, daß sie sich einander in ihrem Streben treu bleiben und helfen wollten. Er verlangte sehr nach den schätzbaren Farben, die der alte Eckhardt in Hamburg aufbewahrte; dieses scheint auf Bedeutendes, das er im Malen bald anlegen wollen, zu gehen, und der Plan zu dem großen Wand-Familiengemählde in Wolgast ging ihm noch ganz ernstlich durch den Kopf. Im Juni machten wir von Hamburg aus eine Reise nach Glückstadt, wo in einer Remise sich die Schätze der dorthin geflüchteten Düsseldorfer Galerie befanden, und uns vergönnt war, freilich in höchst beschränktem Raum, viele der herrlichsten dieser Gemälde zu sehen. Meine Beschreibung davon vergnügte unsre beiden jungen Freunde in Kopenhagen sehr, welche um dieselbe Zeit jene Fußreise durch Seeland machten (begleitet von Mühlholz, einem kleinen Handelsmann, an den wir Runge adressiert hatten und der ihnen die Wege zeigt?), deren muntre Beschreibung den Lesern nicht vorenthalten bleibt. (Vater Claudius, der sie bei Perthes liegen fand, meinte, das verdiente eher gedruckt zu werden, als manches, was denn so heraus komme). Die erquicklichen Knittelverse in dieser, welcher ein gleich drolliges Gedicht auf die Geburt einer Tochter Hülsenbeck's vorangegangen, veranlaßten uns zu einer Nötigung an ihn, ein Hochzeitsgedicht für Speckter zu übersenden; das nicht weniger ergötzlich ausfiel, er aber nicht in dem fröhlichsten Mut auf das Papier geworfen zu haben meldete, weil er bei dem Anfange im Malen auf Schwierigkeiren getroffen war, die ihn, gemäß dem Ernste seines Gemüts, da sie die in ihm erregten Hoffnungen täuschten, niederschlugen; eine Erfahrung, die sich ihm hernach so oft wiederholte. Ihm Vertrauen zu sich selbst wieder einzusprechen gelang mir um so leichter, da ich ihm zugleich die Flaxmanschen Zeichnungen als eine ihn wahrhaft elektrisierende Neuigkeit zusenden konnte; ihm Tieck's, zwar nur kurze Anwesenheit in Hamburg, und später Besser's Rückkehr von einer Reise nach England meldete. —

Runge hatte Eiffe den Vorteil verschafft, Stunden im Zeichnen im Schimmelmannschen Hause zu geben, vermittelst seines Freundes Rist, der nun bald zum Anfange seiner diplomatischen Laufbahn zu einer Reise nach St. Petersburg gelangte. Den jungen Künstlern war es ein Gram, daß in Dänemark (gleichwie im Preußischen, und in einigen andern, an der derzeitigen Aufgeklärtheit krankenden Staaten mehr) alle öffentliche Feier wegen des Eintritts eines neuen Jahrhunderts von oben her abgewehrt wurde, die doch in unserm Hamburg mit allem Enthusiasmus der Wohltätigkeit begangen war. — Der sich nähernde Angriff der Engländer auf Kopenhagen regte unsere Künstler dort zur Empfindung für die Leiden des Landes auf; doch klang bei Runge ein: Vivat Deutschland ! leise durch. Auch berichtete er von einer Volkssage, womit der gemeine Mann sich aufrichte, von zwei Eschen, die eine Sibylle vor langen Jahren in Norwegen gepflanzt, und dabei geweissagt habe, dass, wenn solche erwachsen, der dann regierende König nach einem furchtbaren Kriege siegreich der ganzen Welt den Frieden geben und das tausendjährige Reich beginnen werde.

Er mahlte jetzt mit Böhndel und Eiffe zusammen bei Juel. Es war überall nur die Absicht gewesen, daß er noch diesen Winter in Kopenhagen bleiben wolle, und mit dem Anfange des neuen Jahres wuchs das Gefühl der Unzulänglichkeit dessen, was er hier erreichen könnte, so wie das Verlangen nach einem erweiterten Gesichtskreise so mächtig auf ihn, daß es ihn antrieb, bei der ersten Eröffnung der Schiffahrt um so mehr sich zur Reise anzuschicken, als die Rüstungen zum Widerstande gegen die Englische Flotte alle Verhältnisse am Ort mit jedem Tage für ihn mehr verwirrten. Er hatte in den ersten Monaten des Jahres von der Beschaffenheit des Kunstunterrichtes in Paris, wohin damals die herrlichsten Kunstschätze Italiens entführt wurden, bald den nachteiligsten, bald wieder (mit mehr Wahrheit) sehr vorteilhafte Berichte vernommen. Aber alles vereinigte sich, ihm Dresden zu empfehlen, wofür er sich denn bald bestimmte, und in der Mitte des Märzes abzureisen gedachte; beim Rückblick tief ergriffen davon, um wie viel mehr er in Kopenhagen in die Ausübungsweise der Kunst eingedrungen, und mit wie viel höherem Begriff vom Wesen der Kunst er diese Stadt verlasse, mehr aber noch seine Seele erhoben fühlend in Ahnungen von dem, was ihm noch bevorstehe. Nun aber hinderten, anfangs das Eis, dann noch beträchtlicher die auf den Krieg bezüglichen Verfügungen der Regierung seine Abfahrt gänzlich; er sah sich genötigt, am 27. März einen Paß zu nehmen, um über Land zu reisen, selbst für diesen Fall unter der Gefahr, den großen Belt von Englischen Schiffen gesperrt zu sehen. Dieses traf jedoch nicht ein und er langte ungehindert bei uns in Hamburg an, welches er aber — von Dänischen Truppen eingenommen fand; eine Invasion, die freilich sehr abkühlend für die ziemlich uneigennützige Begeisterung , die uns für die Sache der nordischen Mächte gegen England erfaßt hatte, wirken mußte. Unter den Freundesseelen , die Runge in Kopenhagen zurückgelassen, sind, außer den Familien Brun und v. Bonstetten, und den jungen Künstlern, welche seine „Privatakademie" bildeten, samt seinem lieben Lehrer Juel, noch insonderheit der wohlwollende Rist, auch der Kupferstecher Clemens, und ein Kupferstecher Clemens aus Norwegen, zu nennen.

Uns alle mit inniger Freude wieder sehend, hatte er in Hamburg gleichwohl nicht Zeit, sich wieder bei uns einzuwohnen; er fand unsern Bruder Jacob und einen Vetter aus Wolgast hier und mußte deren Verlangen nachgeben, schnell mit ihnen nach der Vaterstadt abzureisen, nachdem ihm hier die erschütternde Nachricht von der großen Nelsonschen Schlacht vor Kopenhagen geworden war. Nach Hause sandte ich ihm vier Empfehlungsbriefe des guten Hardorf´s für Berlin und Dresden nach; zugleich mit meiner herzlichen Beteuerung, daß ich mit dem wenigen, das ich vermöge, immer um und neben ihm seyn und er mich immer wieder finden werde. Diesen wenigen Worten, deren ich mich gegen ihn, unter hohem Drange der Berufsgeschäfte doch nicht hatte erwehren können, entgegnete er: „Daß ich mich auf dich verlassen kann, weiß ich sehr gut, du sollst mir der feste Punct außer mir seyn, an den ich mich halten will." —

Er besuchte in Greifswald den jungen Mahler Friedrich (geb. daselbst 1774, Gest. als Professor in Dresden den 7. Mai 1840), der schon in Dresden seit 1798 gewesen war und sehr dahin zurück verlangte. Eiffe war nun von Kopenhagen über See unserm Runge nachgekommen. Beide hielten sich in W. und sodann bei unsern Verwandten im Strelitzischen bis gegen Ende des Mai´s auf, wo die Pferde der Unsrigen sie nach Berlin führten, von wo beide junge Künstler den weiteren Weg zu Fuße machten. Otto hatte eine Menge von Bildnissen in schwarzer Kreide daheim gezeichnet und die unmuthigsten Frühlingswochen verlebt.

Sie kamen am 20. Juni in Dresden an; in eben dem Jahre, da am 25. März Friedrich v. Hardenberg (Novalis) in Weißenfels von der Welt genommen war. — Runge ließ, ohne sich einem förmlichen Unterricht zu unterwerfen, seinen Sinn in den so reich dargebotnen Schätzen schwelgen. Bald schrieb er seinem Vater: „Ich sehe jetzt ein ganz andres Feld vor mir, und habe, ehe ich sagen kann, ich möchte weiter gehen, wenigstens noch viele Fortschritte zu machen." — Ein Besuch der Frau Brun aus Kopenhagen mit ihren Kindern traf ihn, als er grade die ersten Bekanntschaften in Dresden gemacht hatte, auf der Galerie unter jüngeren Künstlern daselbst, mit Hartmann, Demiani (den er von Hamburg her kannte), Gareis, Faber aus Hamburg, dem Kupferstecher Veith, dann dem bejahrten kenntnißreichen Galerie-Inspector Riedel, den Professoren W. G. Becker (Inspector der Antikensammlung) und Schubert, und dem Dichter Tieck. Zur ersten Ausübung in seiner Kunst führte ihn ganz natürlich die damals neueste Preisaufgabe aus Weimar: Achilles im Kampf mit den Flußgöttern, wozu er, wenigstens auf ein Urtheil, das ihn leiten könne, hoffend, zu concurriren beschloß, allein wesentlich nur nach Belehrung strebend, in Beziehung auf die Composition ganz offen sich bei dem sehr unterrichteten Hartmann Raths erholte, der schon einmal den Preis gewonnen, diesmal auch selbst wieder nach demselben strebte, und sich in allem, was Runge von ihm begehrte, ihm auf das bereiteste mitteilte. Die in Hamburg zurückgebliebenen Künstler beneideten ihn um seine glückliche freie Lage, und sein Meister Hardorf hielt den Weg, den er bis dahin einschlage, für sehr löblich. Schon um die Mitte des Augusts ging seine Preiszeichnung nach Weimar ab. —

Den innerlicheren Geist der Kunst mit treuem Verlangen in sich aufnehmend, gab sich ein, zuweilen bis zur Wehmuth gehendes Sehnen um diese Zeit in seinen Aeußerungen kund, das auch nicht zu verkennen ist in dem, hernach als Basrelief ausgeführten „Triumph des Amor's," den er jetzt zu zeichnen begann und mit einer Dichtung in Prosa kommentierte. Um diese Zeit lernte er einen jungen Musikus Berger#) aus Berlin kennen, der, um von Naumann's Unterricht Nutzen zu ziehen, nach Dresden gekommen, von ungefähr gleichem Alter mit Runge und in gleicher Geistes- und Gemütsverfassung war; der erste Freund, dem er sich hier mit Inbrunst anschloß. (In Folge von Naumann's plötzlichem Tode, welcher durch eine von Berger komponierte Cantate öffentlich gefeiert ward, verließ dieser, jedoch erst im Februar 1803, Dresden.) —

#) Wir lesen in öffentlichen Blättern im Februar 1839: „Der als Pianoforte-Virtuose, Lehrer und Componist rühmlichst ausgezeichnete Ludwig Berger, ein Schüler Clementi's, ist am 16. plötzlich, mitten in seinem Berufe, der Tonkunst, wie seinen Verwandten und Freunden, durch den Tod entrissen. Er war zu Berlin am 13. April 1777 geboren, und hat noch in seinem lezten Werke, den trefflichen Pianoforte-Etüden, seinen Wert als gründlicher Künstler bewahrt." Ferner: „Er zeichnete sich durch ein feinsinniges, sehr gebundnes Spiel aus, war aber durch unüberwindbare Schüchternheit verhindert, sich öffentlich hören zu lassen. Er widmete sich daher ganz dem Unterrichte und hatte das Glück, in Mendelssohn, Taubert u. A. treffliche Schüler zu finden, und das Geschick, ihre Anlagen glänzend herauszubilden. Ein eben so braver, liebenswürdiger Mensch, als gemütvoller Künstler, und der von Vielen, die ihn näher kannten, tief betrauert wird."

Der schon bemerkten Sehnlichkeit in dem damaligen Wesen unseres Runge entspricht, in Beziehung auf seinen Kunstweg, was er im Briefe an mich vom 7. August über den Gang des innern Produzierens, bestimmter aber an Böhndel im September über die verderbliche Einseitigkeit des waltenden allgemeinen Strebens, von außen nach innen, statt umgekehrt, in der Kunst wirken zu wollen, äußert; und in dem letzteren Briefe winkte er zugleich, zwar nur leise (s. Th.I.S.218), auf das innere Ereignis in ihm, das er schon um zwei Monate früher seinen, mehr oder weniger in ähnlicher Lage sich befindenden Brüdern in der Heimat entdeckt hatte, mir aber (wenn ich die in mir und unsern Freunden erweckte Ahnung ausnehme, als er im Briefe vom 26. August sehr wünschte, daß wir uns um den Absatz von ledernen Handschuhen bemühen möchten) erst am 12. September mit der ganzen Kraft seines Gemüthes vortrug. Nämlich, daß eine junge weibliche Gestalt sein Herz mit der tiefsten Wirkung eingenommen habe. Er bezog diesen Eindruck, der zum unauslöschlichsten in ihm gedieh, sogleich auf die ganze Aussicht für sein Leben und Streben, und verlangte sich mit mir über die Richtung und Bestimmung des letzteren ein - für allemal zu einigen, vor allem zu erfahren, ob meine Gedanken über seinen weiteren Berufs- und Entwicklungsgang hinderlich oder nicht gegen die in ihm erwachte Neigung stünden. Der Gegenstand dieser Neigung war Pauline Susanna Bassenge (geb. den 18. September 1785), Tochter eines Dresdener Handschuhfabrikanten, zu der Französisch-Reformirten Gemeinde daselbst gehörend, und mit dem bekannten Banquierhause Bassenge nahe verwandt. —

Mich und unsre näheren Freunde hatte die Feierlichkeit seiner Fragen bis in den Grund aufgeregt. Zu sehr erprobt hatten wir von jeher die Gediegenheit seines Herzens und die Bedeutsamkeit des geistigen Gesichtspunktes in ihm, als daß wir Sache und Frage nicht hätten in dem vollsten Umfange in Erwägung fassen können. Dies geschah schnell, und schon in wenigen Tagen genügte ich seinem Verlangen durch zwei kurz auf einander folgende Briefe, die ihm die Versicherung brachten, daß in allem, was am eigentlichsten ihn betreffe, er selbst allein bei mir in Betracht komme; daß wir im Grunde keinen Plan mit ihm gehabt hätten, außer bloß als einen Notbehelf in dem Sinne, daß er wo möglich bei uns leben möge, damit nicht eigentlich die Ausübung der Kunst ihn zu ernähren brauche, sondern er sein Fortkommen außer ihr haben könne, um desto gewisser ganz ihr leben zu können. Von seiner Kindheit an habe ich in mir das Gefühl gehabt, daß er mein sei, dieses aber auch nur, ohne ihm irgend einen Zwang aufzuerlegen, sich bewähren könne; denn wie er für mich, so möchte ich auch für ihn leben, und wünsche es von Herzen, mit Abstreifung der geisterdrückenden Arbeiten, die auf mich lasteten, thun zu können. Nur Speckter und Perthes habe ich hier über ihn zu Rathe gezogen: der erstere bei seiner Vorneigung für die Kunst sei nicht ohne Furcht, daß seine Liebe ihn vom Eifer für dieselbe herabstimmen möchte; der leztere in Angst vor Fehlgriffen der Leidenschaft, bei seinem tiefen Gemüt. Ich, als der dritte, wage es aber kühn hin in dem Vertrauen, daß nur im freiesten Kampfe mit sittlichen Hindernissen sich sein Herz bewähren könne und werde, und verspreche ihm, wenn er mir die Fragen über Was? und Wie? seiner Wünsche seiner würdig beantworten werde, ihm zur Erreichung auf alle Weise förderlich zu sein, und so möge er seine Frage: Was aus ihm werden solle? einmal selbst beantworten.—

Seine Briefe vom 27. September und 6. Oktober zeigen, wie hoch er sich nun beglückt fühlte. Er entwickelte seine Ansicht von der wahren Kunst, suchte den falschen Weg zu zeigen, den die bestehende eingeschlagen, so wie den rechten aus der ernsten Aufgabe der Kunst und den sittlichen Forderungen, und wie der Beschluß, für diesen Weg zu wirken, ein Plan, der keine Grenzen kenne, der Widmung eines ganzen Lebens wert sei. Dafür scheine es ihm Vorzüge darzubieten, was auch mit seiner herzlichen Neigung stimme, künftig bei uns zu leben, nachdem er Wien, Italien und Frankreich nur noch eben gesehen haben werde. Er erzählte dann auck von der ersten flüchtigen Bekanntschaft, die er in dem Hause der Geliebten gemacht. — So war denn ein tieferes Bündniß wie jemals zwischen seinem und meinem Herzen geknüpft.

Ich bezeugte ihm unsre Freude an seinem heiligen Ernst, und der Reife, die wir ihm in dem Grade noch nicht zugetraut hatten; doch nicht ohne, auf die Zeiterscheinungen gegründete Besorgnisse von dem Einflusse romantischer Philosopheme auf ihn, welche die Kunst und Poesie überschätzen und an die Stelle der Religion setzen möchten. Mit dergleichen Besorgnissen und Ansichten ward er in der Folge noch lange und viel gequält, und nicht hinlänglich ermessen, wie sehr er durch kindlich treuen Sinn davor geborgen sei; deren Ungerechtigkeit ihn aber doch, um sich ihrer zu erwehren, immer nöthigte, eine Besonnenheit anzuwenden, die sich wohlthätig erhaltend für ihn bewieß. —

Unsern Vater, dem er sich zu entdecken noch Anstand nahm, beruhigte er in heiterer gewordnen Stimmung über den Mißmuth in früheren Briefen von ihm, der diesen betrübt hatte; und sich bereitwillig geigend, eine Art Aufsicht über einen andern jungen Landsmann zu übernehmen, setzte er hinzu: „Es soll ihn eben nicht gereuen, durch mich auf den richtigen Punkt geführt zu werden, wenn es ihm würklich ein Ernst um die Kunst ist, und er nicht etwa nur so ein bloßer Mahler oder Conterfaiter werden will. Wer die Kunst rein und von Herzen liebt, kann gewiß kein schlechter Mensch sein, da sie, wie Doctor Luther sagt, nächst der Religion das Beste ist, das der menschliche Geist haben kann." — Er bekümmerte sich jetzt auch um Aussichten für einigen Erwerb im Kunstfach von Pommern her, und dachte darauf, vielleicht beim Vater um Aussetzung eines bestimmten Zuschusses für die nächsten Jahre anzuhalten. Das Zusammenwohnen mit Eiffe gab er jetzt auf, zwar mit Beybehaltung freundlicher Bereitwilligkeit für ihn; dessen damals zu merklich gewordne Unreife in Streben und Neigungen machte das zu nahe Verhältniß mit ihm unangemessen für seine erhöhtere Stimmung. Seine Liebe machte er nun auch unsrer ältesten Schwester kund, unterrichtete sie auf's genaueste von dem Fortgange in den Verhältnissen mit seinem Mädchen und ihren Umgebungen, und alle seine Briefe machten nun unter der Hand den Kreislauf zwischen Hamburg, Pommern und Mecklenburg.

Auch seinem alten Freunde Böhndel entdeckte er sich nun ganz, meldete ihm von seinen Kunstentwürfen und lag ihn dringend an, auch nach Dresden zu kommen, wo auch Friedrich zum Frühjahr wieder erwartet werde; er werde mit Tieck, bei welchem Faber ihn eingeführt, genauer bekannt; und unter den Künstlern, von denen Berger hier Nutzen ziehen könne, rühmte er Mechau, den Landschafter, so wie besonders den herzlichen Graff, an welchen er selbst durch Juel empfohlen war, und durch dessen Familie, so wie durch andre Gelegenheiten (die zum Theil in Geschüftsaufträgen von uns her bestanden) er beim Besuchen von Concerten mit Tanzpartien häufiger an seine Pauline kommen konnte. Abwechselnd froh und weh in den Wogen der Liebesgefühle nahm er an Gesundheit erfreulich zu, und ließ im Ringen mit seinen jugendlichen Kunstgenossen sie es empfinden, daß er körperlich der stärkste unter ihnen sey. —

Mit den Zeichnungen, die er uns gewohnterweise zu Weihnachten sandte, kamen auch die ersten Entwürfe zu seiner „Lehrstunde der Nachtigal." Er zog um diese Zeit durch seinen Amorszug die Aufmerksamkeit Tieck's, die ein musikalisches Wesen in dieser bildlichen Dichtung erregte, so auf sich, daß sich ein genauer Umgang zwischen ihm und demselben bildete; vertiefte sich gegen seine Schwester bei der Beschreibung der Konzertgesellschaften, wo er das Glück hatte, seine Geliebte zu sehen, in die allegorische Bedeutung und die Harmonie der Farben, die einst noch seinen forschenden Geist so ernst beschäftigen sollten; und endigte das Jahr, vor dessen Schluß ihn noch der Bericht von der Hochzeitsfeier unseres Bruders David am 25. November erfreute, in hoher Heiterkeit.

Mit der Liebessehnsucht, die sich in ihm, besonders durch das öftere Sehen des Mädchens unaufhörlich steigerte, ging in seiner erregten Seele zugleich die höchste Ahnung von dem Wesen und der Bestimmung der Kunst auf, und beide Triebe waren in ihm in lebendigster Wechselwirkung auf einander. Und gleichergestalt übte der Gedankenaustausch mit Tieck jetzt wechselseitig auf beide Freunde einen mächtigen Einfluß, denn in dem Maße, wie die mehrere Erfahrenheit und große Innigkeit in den geistigen Ansichten des Freundes ein Licht nach dem andern in Runge aufblicken ließ, das für seine innere Bewegung leitend wurde, wirkte auch die unerschütterliche Festigkeit des Gemüthsglaubens bei dem letzteren kräftigend auf die Seelenrichtungen des Dichters, und so mußten wohl beide für einander immer anziehender und sich gegenseitig sehr wert werden. — In den ersten Monaten von 1802 wurden die Urteile der Weimarschen Kunstfreunde über die Concurrenzstücke zu der Ausstellung des vorigen Jahres bekannt, und es fiel das über das Achillesbild unseres Künstlers so nachteilig aus, wie man es nach dem vielen Experimentieren, das er daran ausgeübt, schon recht wohl hatte erwarten können; ein Ausfall, der ihn jedoch jetzt bei seiner so sehr erhöhten Stimmung wenig rühren, noch ihn irre machen konnte. Nur, daß jetzt sowohl Tieck als ihm das Ganze der Weimarschen Leitungsweise der Künstlerwelt — ausgehend von Komposition nach aufgegebenen Gegenständen aus einem bekannten Formenkreise, und darauf auch wieder hinausgehend — als auf einem sehr untergeordneten Standpunkte in Beziehung zu dem, was ihnen als Zweck der Kunst nunmehr einleuchtete, und so mehr schädlich als fördernd erschien. Insonderheit seine eigne innere Arbeit an der sich in ihm wie zur Geburt drängenden Erkenntnis deutet Runge in dem Briefe vom Februar an Besser an, in welchem er ihm zur Verlobung mit der Schwester von Perthes Glück wünscht. Und noch mehr in einem Briefe an mich von derselben Zeit führen ihn Gedanken dieser Art auf die Notwendigkeit der Entstehung einer ganz neuen Kunst, welche (schon nach einer früheren Idee von Tieck oder Wackenroder) in der schon vorhandenen Landschafterei aufgehen und dem Genius des sich gebärenden neuen Weltalters entsprechen müsse. Zu einem völligen Durchbrche kam diese große Bewegung bald darauf, auf die, in seinem langen Briefe oder Aufsätze vom 9. März (Th. I S. 7 ff.) entwickelte Weise, wo er die Überzeugung ausspricht, daß die Empfindung, von welcher jedes des Namens werte Kunstwerk ausgehen müsse, in nichts geringerem als der inwohnenden Gottesahnung, die sich im Menschen durch die ewigen Töne der Natur entzündet, ruhen dürfe, und die Rangordnung zu bestimmen sucht, in welcher hiernach die verschiedenen einzelnen Eigenschaften und Vollkommenheiten des Bildes zu stehen kommen. -

Was wir in der langen Zwischenzeit treuherzig genug an seinen einzelnen Äußerungen zu berichtigen gesucht hatten, mußte sich uns jetzt natürlich als sehr unzulänglich gegen den hohen Flug, womit er uns vorausgeeilt, zeigen; wozu unsre Bemühung, die Weimarschen Strebungen bei ihm doch einigermaßen in Achtung zu erhalten (da ihnen doch unendlich mehr Durchdachtes, als dem ganzen Zeitschlendrian zum Grunde zu liegen schien) gehörte. Er hätte gern, soviel als billig wäre, einlenken mögen, und suchte sich gegen uns mit der Annahme, „es sei nicht eben Goethe, der das Falsche dort wolle," zu helfen. Doch sahe er sich bald zu seinem Leidwesen genötigt, diese Voraussetzung fallen zu lassen, als es zu klar wurde, daß Goethe die Urteile und Anordnungen seiner Verbündeten sich gefallen ließ und so ziemlich allem das Siegel seines Namens aufdruckte. -

Doch dieser Meister lebte und wirkte unter einem bequemen Walten seiner geistigen und gemütlichen Anschauungen, während unser junger Künstler (in dessen Innern seine „Lehrstunde der Nachtigall" sich jetzt zu gestalten anfing), überdrängt von den Forderungen, welche die hohe Aufgabe an ihn machte, sich in einem gewaltsamen Seelenzustande befand, voll einer Angst und Unruhe, „die selbst mit dem Körper nicht aufhören könne “ wie er sich, eben so heftig erschüttert, als in glaubensvoller Ahnung gestärkt durch dieses Gefühl, in dem Briefe an Böhndel vom 7. April ausdrückt, in welchem er die ihm gewordene Offenbarung von der Bedeutung der Kunst epitomirt. Denn, was ihm in dieser Beziehung, wie man glauben sollte, auf die Weise doch zu einer festen Hoffnung gelöset hätte erscheinen müssen, das war desto weniger in ihm zur Klarheit über die Anforderungen gediehen, die er redlicherweise an sich, um zu seinem Liebesglück zu gelangen, machen zu müssen glaubte. Diese ehrenhaften Gefühle hemmten jeden nur etwas entschiedenen Schritt zu dem, was er doch mit voller Seele verlangte, und so forderte er in dieser Herzensnoth vernünftigen Rat von mir. bei dem grenzenlosen Vertrauen nun, das ich zu ihm gefaßt, konnte und wollte ich solchen Rat nicht auf Schrauben setzen; ich meinte daher, er müsse nur unmittelbar suchen, sich der Neigung Paulinens zu versichern, dann vor allem andern an unsre Eltern schreiben, an deren Zustimmung ich nicht zweifeln könne, jetzt auch bei den Eltern des Mädchens ansprechen, und, erhielte er deren Einwilligung, sogleich (natürlich zu seiner Ausbildung in der Kunst) auf mehrere Jahre verreisen, — falls er, und hierin müsse er sich, dies sei unerläßliche Bedingung, aufs tiefste prüfen, — es auf die probehaltige Treue eines sechzehnjährigen Kindes hin wagen zu können glaubte.

So gewiß hielt ich mich seiner Gesinnung, daß ich das Wort unseres Claudius auf ihn anwendete: „Es freut jedesmal im Innern der Seele, wenn man von einem Menschen hört, der bei einer Leidenschaft den Kopf immer noch oben behält, und Braut und Bräutigam für etwas Besseres vergessen kann." Doch er war inzwischen schon selbst in sich fester geworden, und in seinem Gemüte meinen Mahnungen weit voraus; fand zwar meine Vorschläge ganz begründet, doch örtliche Bedenklichkeiten in der Befolgung, die es vielleicht nicht möglich machen möchten , alles so nach der Reihe sich zutragen zu lassen. Unterdessen hatten auch unsre Geschwister daheim sehr davon abgeraten, die Sache schon so bald unsern Eltern zu entdecken, zumal dem, ohnehin unter vielen Sorgen stehenden Vater, wenn gleich die älteste, zwar auch sehr sorgsame, aber stets tief fühlende Schwester, den Vater besser kennen wollend, sich anfangs meiner Ansicht mehr zuzuneigen schien. In meinem Vertrauen zu unsern Eltern nicht wankend, suchte ich dennoch auch Otto darin für die Folge zu bestärken, und ihn von allem Trübsinn abzumahnen, und er lag nun den Geschwistern selbst an, sich keine Angst und Sorge um ihn zu machen, der er gleichwohl in sich selbst nicht immer Meister zu werden vermochte.

Wir meldeten ihm jetzt, daß Tischbein in Hamburg angekommen sei, hier vielleicht zu bleiben denke, und sich, nach dem, was er von seinen Zeichnungen bei uns gesehen, verwunderungsvoll sogleich für ihn interessiert habe; auch daß mehrere ihm wohlbekannte Familien Hamburgs in diesem Sommer Dresden besuchen wollten. Ferner erfuhr er, daß aus Pommern Friedrich in kurzem wieder hinkommen werde. Im Mai reisete Friedrich Schlegel, nachdem er einige Zeit bei Tieck in Dresden verweilt, mit seiner Gattin von dort nach Paris ab. Runge hatte mir seinen „Triumph des Amors," der ihn nun so vorteilhaft bekannt gemacht, zugeschickt, der uns sehr hoch erfreute, und den wir als sein Hochzeitsgeschenk für unsern Bruder Jacob an diesen weiter beförderten. Er glaubte sich einigermaßen zu erheitern, indem er in der herrlichsten Blüthenzeit mit drei Jugendgenossen (Musikus Berger, Mahler Joseph Maehler aus Trier, und Architekt Schäfer aus Sachsen) eine Fußreise, im Ganzen mit gemeinschaftlicher hohen Fröhlichkeit, nach dem schönen Plauischen Grunde machte, die er, sich jener launigen Seeländischen erinnernd, mit ausgelassener Phantasie in einer langen Ausführung in Knittelversen besungen. Sie mag unmitgetheilt bleiben, weil eine merkliche Anstrengung zur Heiterkeit durch die Spannung in seinem Gemüt hervorgebracht, das Ganze etwas unlieblich gemacht hatte.

Er sandte ein darin eingelegtes melancholisches Gedicht an Perthes, der, zur Messe in Leipzig anwesend, ihn zum 25. Mai dorthin eingeladen hatte, wo er, nach Beendigung der Geschäfte, seiner für einige Tage werde froh werden können. Damit hing es aber auf folgende Weise zusammen, was eine gewaltsame Wendung in den Zuständen unseres lieben Otto's zur Folge hatte. Von ganzer Seele wünschend, daß er zu einer heitern und verständigen Durchsicht seiner Gemütsverfassung gelangen möge, und hoffend, daß dieses durch eine persönliche Beratung mit mir herbeizuführen seyn werde, hatten wir Freunde in Hamburg im Winter den Plan gemacht, und uns als ersprießlich einzureden gewußt, daß ich und Speckter gegen Ende der Messe nach Leipzig kämen, Otto dort überraschten, und wir alle drei ihn dann nach Dresden begleiteten, was mir zugleich zu einer Erholung von schweren Arbeiten gereichen, unsern Speckter aber auch als Kunstreise hoch vergnügen sollte. Ich machte eine Entfernung von den Geschäften für mich durch die ungeheuerste Anstrengung möglich. Perthes beredete Otto zu einer Ausfahrt nach Halle, wo sie uns beide im Wirtshause antrafen, und zu meinem Schrecken Otto im ersten Augenblick durch die Erscheinung tief und wehmütig berührt wurde. Es haben die zarten Regungen einer so innerlichen Leidenschaft, wie es die seinige war, ihre geheime, sich selbst unbewußte Geschichte, für deren Gang eine bestimmte Wirklichkeit von außen, wie er sie durch unsre bekannten Persönlichkeiten beim ersten Blick auf sich einbrechen sah, nicht anders als schmerzlich störend auftreten kann. Zwar fanden wir uns gar bald wieder einer in den andern, allein diese Erfahrung hatte uns doch für immer von der falschen Lust an Überraschungen geheilt.

Am 29. verließen wir Leipzig, von wo wir auch Richter nach Dresden mitnahmen; und hier mußten wir, um den 7. Juni schon weiter reisen zu können, unsere Zeit auf das genaueste einteilen, um uns von Otto mit den herrlichen Schätzen der Natur und Kunst in Dresden und seinen Umgebungen, so wie mit jüngern und ältern Freunden, namentlich, wiewohl sehr flüchtig, mit Tieck, mich auch mit der Familie seiner Geliebten, bekannt machen zu lassen. Es kam nun unter uns zu einer ernstlichen Erwägung und Beratung mit Otto über das, was in seiner Sache zu tun oder zu lassen sein möchte, wobei er sich fast willenlos in unsre, an sich schon nicht gar zur Gestaltung kommenden Meinungen ergab, deren Ergebnis war, daß ich zu dem Vater Bassenge ging, ihm alle Verhältnisse offenbarte, und seine Zustimmung zu einer Verbindung meines Bruders mit seiner Tochter Pauline ansprach. Derselbe lehnte aber, wohl schon gefaßt auf den Antrag, wenn auch nicht in dieser Form, ihn vorerst, der großen Jugend seiner Tochter wegen, ganz und gar ab, und ich kam mit dieser, unsern Geliebten noch unglücklicher treffenden Botschaft zurück. —

Wir reisten nun (ohne Richter) über Berlin nach Mecklenburg ab, wo unser Jacob sich eine Braut ausgewählt hatte, und Perthes, nachdem er uns Brüder alle sechs dort beisammen gesehen, nach Hamburg zurückfuhr. Ich und Speckter hingegen begleiteten Otto jetzt nach Wolgast, wo ich und dieser den Eltern dessen ganze Lage offen vorlegten, samt den Aussichten, die wir uns für sein künftiges Fortkommen vorstellten. Es wurde dieses, wie ich es mir längst gedacht, mit dem liebevollsten Zutrauen aufgenommen und jede angemessene Unterstützung zugesagt. Die ganze Familie ging nun nach Mecklenburg wieder ab, wo unsre lieben Eltern alle ihre lebenden Kinder zum leztenmale um sich vereinigt zu sehen die Freude hatten. Die Hochzeit war dort an zwei Tagen festlich begangen, und unter den Tänzen des letzten Abends nahmen ich und Speckter Abschied, um nach Hause zu reisen. Otto, indem er mich umarmte, versicherte mich in einer hohen, feierlich schwermütigen Stimmung, mit einigen kaum ausgesprochenen Worten, der Ewigkeit in seinen tiefsten und heiligsten Entschlüssen, und blieb noch bei den Brüdern zurück, wo er Nachricht erhielt, daß Tieck's von Dresden weggereiset wären, und seine Freunde Böhndel und Cramer #) von Kopenhagen dort hinkämen.

#) Tjarko Meyer Cramer aus Emden, Mahler, dem Vernehmen nach später in Rom verstorben.

Er kam, nachdem er im größten Trübsinn seine Geschwister verlassen, am 8. Juli nach Dresden zurück, ging zu dem Vater Bassenge, um sich mit ihm zu erklären, erhielt aber, wiewohl freundlich aufgenommen, keinen andern Bescheid, als der schon mir geworden, ja es wurden ihm die Besuche in dem Hause Bassenge abgeschnitten, und bloß Raum zu einiger Hoffnung gelassen, wenn er sich nach einigen Jahren wieder melden würde, wie er denn auch, wenn er etwa verreise, recht gern Nachrichten von der Familie erhalten könne. Diese schwachen Schimmer einer fernen Aussicht konnten jedoch eine völlige Hoffnungslosigkeit, die sich unseres Runge bemächtigte, nicht im geringsten mildern, deren Gegenwart in einem durchaus glaubensfesten Gemüth eine höchst merkwürdige Erscheinung bildet. Er konnte nicht umhin, mir seinen Nichterfolg in einem ziemlich kurzen Briefe zu melden, wobei er, nach der jetzt mit uns gemachten Erfahrung, Enthaltung von aller Einmischung in sein Verhältnis von uns verlangte (was wir befolgten, obgleich ich es mir nicht nehmen ließ, fortwährend Briefe über kleine Handelsgeschäfte mit Bassenge zu wechseln.)

Seinem verwundeten Herzen Luft zu machen, war ihm gleichwohl Bedürfnis, allein er schrieb nicht wie gewohnt an mich, sondern an seinen Jugendgespielen Richter in Leipzig, offenbar voll Unmuts gegen mich; bis ihn mein eigner Gram über ihn, der aus meinen Briefen hervorging, so rührte, daß er sich auf alle Weise wieder zu mir fand. Perthes war unterdessen mit den verständigsten, aus tiefer Herzenskunde geschöpften Gründen zu seiner Aufrichtung ihm nahe getreten. Wir hatten Böhndel auf dessen Durchreise von Kopenhagen her kennen gelernt und dieser traf nun in Dresden bei Runge ein. Die nächsten Freunde daselbst, namentlich Berger, ließen ihn auch nicht ganz in seinen Trübsinn versinken, und er verfertigte unter anderem ein überlustiges Polterabendsgedicht, das von Berger komponiert war. Ja es fanden sich wohlgesinnte weibliche Seelen, an Erfindungen nicht arm, um ihn dem Hause seiner Geliebten wo möglich wieder zu nähern, wenigstens ihm mancherlei Nachrichten aus demselben zu verschaffen, als, daß er dem Herzen seiner Pauline nichts weniger als gleichgültig sei, und die Contumaz, welche deren Eltern ihm auferlegten, bloß in deren Sorgfalt für die Tochter, weil sie gegen Ostern confirmiert werden solle, ihren Grund habe.

Unser Vater in Wolgast, zwar in tiefen Sorgen um den Sohn, konnte ihm doch seine Meinung nicht vorenthalten, daß er eine solche Rücksicht von Seite der Eltern für wohlbegründet halte, mahnte ihn zur Geduld, ja zur Beweisung eines männlichen Mutes, daran es ihm zu mangeln scheine. Hierin verkannte der gute Vater nun himmelweit den Sinn des Sohnes, dessen starker Mut nur in den Umständen nicht auch zu einer Freudigkeit gelangen konnte, die sich auf jeden Fall nicht von außen einreden ließ, auch nicht in der reinen Gleichmüthigkeit, welche er an seinem Freunde Tieck verehrend anerkannte, Nahrung finden konnte. Jedoch es fanden die Freundinnen Gelegenheit, ihn zu überzeugen, daß Pauline ihn liebe, und dies erweckte sogleich einen hellen Freudenfunken in ihm; allein zugleich machte der Wechsel von Kummer und Freude, zugleich mit einiger Erkältung eintretend, ihn im September recht ernstlich krank, worüber unsre Schwester Maria noch einen Monat später die ängstliche Bemerkung machte, wie schwach in seiner Kindheit sein körperlicher Zustand gewesen. In dieser Krankheit machte aber der Vater Bassenge, wohl gutmütig besorgt, daß er ihn auf eine zu harte Probe gestellt haben möchte, einen flüchtigen Besuch bei ihm, den Runge zwar nicht gar hoch anschlagen wollte, aber einiges Erfreuende darin für ihn doch nicht ganz sich ableugnen konnte.

Er entschloß sich doch nun, was bisher nicht sein Vorsatz gewesen zu seyn scheint, den Winter noch in Dresden zu bleiben, sprach aber den Wunsch aus, daß unsre Schwester Maria zu ihm kommen möge, und es schien ihm durchaus nicht gelten zu können, was sie dawider bedenklich machte, daß sie nämlich bei ihm nicht so nützlich und unentbehrlich sein würde, wie sie es auf eine überschwänglich arbeits- und liebevolle Weise so oft den Geschwistern in Mecklenburg war. — Es hatte ihm kurz vorher eine andre Stimme aus der Heimat, es wohl zu treffen meinend, das leidige Lied vom „Vergessen" zu singen versucht, und daß man das Liebste doch am Ende vergessen müsse, und der liebe Gott recht gut wisse, wozu das sei. Darauf, die Wohlmeinung zu sehr erkennend, um sie unbeachtet lassen zu können, antwortete er:

„Ja dann müßte ich nicht wissen, was es heißt, mit ganzer Seele lieben. Wenn ich das vergessen könnte, wenn auch nur der Gedanke in mich käme, so hätte ich den Fluch über mich ausgesprochen, ewig keine Ruhe zu finden. Die Treue und der innige Glaube an einander ist nicht so etwas, das lange braucht gesagt zu werden. Was wirklich von Herzen kommt, das geht zu Herzen ohne Worte, und wie sich eine Seele nach der andern sehnt, so muß die andre es auch fühlen in dem Augenblick, sonst wäre keine Verbindung und kein Zusammenhang in der Welt. Und nun wo nur die Welt, wo bloß das Äußere im Wege stände, da sollte man diese innigsten Bande der Seele zerreißen und vergessen? Was ist das Leben? und was kann der Tod für Macht an uns haben? Wo des Menschen Schatz ist, im Himmel oder auf Erden, da ist auch sein Herz, — darum so sammelt euch Schätze, die die Motten nicht fressen und wo die Diebe nicht nachgraben u.s.w."

Ja er nahm sein Geschick für einen wahren Gottesberuf und eine Prüfung zu etwas ganz Tüchtigem und Großem auf und es gewährt einen Anblick von der rührendsten und ergreifendsten Merkwürdigkeit, wie jener Wechsel von Verzweiflung und Wonne sein ernstes Kunststreben nicht allein nicht zu lahmen und niederzubeugen vermochte, sondern es auch grade nach dem Maße seines inneren Wehes zu dem höchsten Geistesfluge mit Macht sich hinaufschwang, also daß er nicht allein mit so süßen Farben und anmutsreicher Poesie, wie sie seine „Lehrstunde der Nachtigall" kund giebt, mahlen, mit so lebensfroher und üppiger, wie seine „Freuden des Weins" andeuten, zeichnen, sondern auch aus dem tiefsten Bedürfnis des Geistes, wie aus den heiligen Urkunden des Menschengeschlechtes, die höchsten Gedanken über die Anfänge und die Bestimmung der Kunst, über die Begründung einer neueren und erweiterten, aus dem lebendigen Wort der Natur eine Offenbarung Gottes, analog der uns in der Bibel verkündigten, und den Begriff von einer Dreieinigkeit der Farbe schöpfen konnte, wie er es in den, mir so wie Tieck mitgeteilten Erörterungen darlegt.

Die innere Arbeit, die mit diesen Kämpfen um Erkenntnis verknüpft war, machte ihn zwar, wann er darin begriffen, nur desto unglücklicher, allein sie drängte sich ihm von außen wie von innen unabwehrlich auf. Wenn auch so unter den Künstlern und Kennern, die auf dem gewöhnlichen Wege fortgingen, grade die Gescheitesten an ihm irre werden mußten, so konnten dagegen Andre, welche den Eindruck von seinem Streben mit schlichterem Sinne in sich aufnahmen, sich der Verwunderung und herzlichen Lobes nicht enthalten, was aber ihn, auch wenn es von mir kam, nur noch mehr ängstete, indem es ihm nur noch fühlbarer machte, wie wenig er sich selbst noch genüge.

Unser Speckter, der auf der Reise, die wir zu dem jungen Künstler gemacht, die Kunst nach ihrem Wesen und Umfang nur aus der Masse der vorhandenen Werke erkennen wollend, die ersten Gedankenfiüge des Jüngers nur stets an diesem Kunstkomplexe messen und ein- und unterordnen mochte, und der ihn auf diese Weise oft irren mußte, war jetzt nach seiner schriftlichen Erörterung, von dieser, wie ich am 13. November berichtete, „im höchsten Grade enthusiasmiert und sagte unter anderem: Kein Künstler von richtigem Gefühl würde sich sperren, diese Ideen, wenn sie ihm nur so als Ideen vorgelegt würden, sehr wahr und richtig zu finden; jedoch freilich, ließe man sich merken, daß es ein Individuum gebe, das diese Gedanken zum Grunde der Ausübung lege, so würde alles in hellem Brande stehen;" (was sich auch hernach durch genug Belege bewahrheitet hat.)

Hardorf selbst glaubte seinen vormaligen Schüler „auf einem sehr richtigen, aber gefährlichen Wege zu sehen." Was Runge auf beides antwortete, zeigen seine demnächst folgenden Briefe. Die richtige Anwendung seiner Gedanken auf die Kunstübung zu finden, mußte ihm aus innerer Notwendigkeit zu einem Ziel werden, gegen welches alles andre zurückweichen müßte, und sie konnte ihm doch natürlich nur aus der Anwendung selbst klar werden. Daher seine bestimmte Abneigung, nach Italien zu gehen, ehe er bis auf einem gewissen Punct mit sich selbst in's Reine gekommen; eine Abweichung von dem gebahnten Wege der Kunst, die freilich nur solche Nichtkenner, wie ich, oder Perthes, oder unsre Lieben daheim, für sich gewinnen und ihnen überzeugend scheinen konnte. Runge schrieb darüber und über das, was damit verwandt war, die Weise eines bürgerlichen Fortkommens nebenher, samt dem Plan, den ich und unser Vater deshalb skizziert, an Perthes, der zu seiner Freude diesen Plan, insonderheit den Gedanken, sich mit Zimmerverzierungen, wofür Runge so ausgezeichnet Sinn zeigte, einen Erwerb zu gründen, viel praktischer fand, als er sich vorgestellt hatte. —

Unterdessen hatte sich auf den, in seiner Richtung nicht mehr von Runge allein gemißbilligten Betrieb der Weimarschen Kunstfreunde ein Angriff eigner Art herausgestellt. Ehe noch das Programm über die Preisausstellung des laufenden Jahres bei der Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung hatte ausgegeben werden können, war in der Zeitung für die elegante Welt eine angebliche Beurteilung derselben mit völlig erdichteter Angabe der Werke und Künstler erschienen, die mit Geist und Kenntnis der Sache auf eine herbe Verspottung des ganzen Unternehmens hinauslief; und die schadenfrohe Welt wollte die Verfasser in diesen oder jenen der ersten Kritiker des Tages, oder auch in Künstlern, die sich durch die Weimarschen Urteile gekränkt halten könnten, wittern. Am wahrscheinlichsten ist die Mystifikation (wie jetzt der Ausdruck läuft) einem Kunstkenner in Berlin zugeschrieben worden, die dem Ansehen des Instituts allerdings einigermaßen schadete, und wogegen ein Freund desselben in eben dem Blatte einen „nötigen Schlüssel" in Hexametern abdrucken ließ, der wohl im Ganzen sehr richtig dem kunstgewerblichen Neide diese Verhöhnung des uneigennützigen, auf die Förderung der Kunst rein absehenden Bestrebens zuschrieb. —

Die doch nur sehr untergeordnete Natur dieser Kämpfe mußte unserm Runge zwar sein eignes Wollen in einer um so höheren Sphäre erscheinen lassen, allein sie trug um so mehr zur Erneuerung seiner Schwermut darüber bei, daß sich der unvollkommenen Welt ein reiner Gesichtskreis für das Streben und die Sehnsucht seines Geistes und Herzens nicht wollte abgewinnen lassen. — Endlich errangen aber doch der tapfre Kampf seiner reinen Natur und die ausharrende Treue seines Gemüts einen belohnenden Sieg. Man hatte ihm ohne sein Dazutun zu einer Unterredung mit seinem Mädchen, so wie später, — nachdem er sich vorher schriftlich über seine ernste Gesinnung gegen Paulinen, auf dem Grunde der heiligsten religiösen Überzeugung, so wie über seine Aussichten und Familienverhältnisse gerechtfertigt, — mit deren Mutter verholfen, und er hatte sich von der Liebe der ersteren, so wie von dem Wohlwollen der letzteren völlig überzeugt, was ihn gewiß machte, daß, wenn er mit seinem Antrage bei dem Vater nur bis Ostern warte, alles nach seinem Wunsche gehen werde. Es kam sogar noch wieder in diesen Monaten zum Tanzen in dem Kreise, an dem die Familie teilnahm, und in Runge zu dem Vorsatz, auch noch den nächsten Sommer in Dresden zu bleiben. So erschloß sich nun sein Inneres der unbeschreiblichen Wonne der herrlichsten Hoffnungen. Seine Entwicklungen und Bemühungen im Kreise der Kunst erschienen ihm immer mehr als typisch für die Begründung einer neuen schöneren Ära derselben, auch gewannen seine Erwartungen für die Begründung bürgerlichen Fortkommens im Vereine mit mir bestimmtere Gestalt. Er war, wie er zuletzt noch an seine Mutter und an die edle Karoline Perthes schrieb, im Glauben bestanden, und das Jahr schloß sich für ihn nicht bloß wie sonst in Vergnügen, sondern in hohem Jubelaccord.

Bey so erhöhter lebendiger Stimmung mußten seine Bestrebungen, um solche Aussichten für Lebenserwerb sicher nachweisen zu können, und die, seinen Entwürfen einen innern Gehalt zu geben, der ihn, nach seinen eignen, jedes fremde Maas überschreitenden Forderungen der Erwerbung seiner Geliebten würdig machen könne, mit denen, der geschöpften Kunstidee in Werken, welche eine Grundlegung der geahnten Geburt einer neuen Kunst offenbarten, zu genügen, gewissermaßen untrennbar zusammenfließen. So wird es begreiflich, daß, wenn er nur leichte, jedoch höchst ansprechende und liebliche Dekorationen zu skizzieren meinte, ein Inhalt sich hineinsenkte, der alles, was für einen solchen Zweck verlangt werden konnte, unendlich überflügelte. Indem er, um mit solchen Verzierungen zugleich zu zeigen, welch ein bisher nicht entwickelter Sinn in die Kunst der sogenannten Landschaft gelegt werden könnte, den so gewöhnlichen Stoff der Tageszeiten ergriff, mußte es ihm gleich klar werden, daß alle und jede Darstellung aus der freien Natur in diesem Zyklus eingeschlossen liege, und er, den für Zimmerverzierungen so angemessenen Weg der Allegorie einschlagend, nicht umhin könne, eigentlich nicht Landschaften, sondern typisch die Landschaft in den Zeitmomenten des Tages und der Nacht vor das Auge zu bringen. Was denn, der Natur der Allegorie gemäß, gar leicht ausgedehnte symbolische Beziehungen zu Aufgang oder Entstehung, Vollendung in der Erscheinung, und Niedergang oder Auflösung überhaupt, nach allen Richtungen gewann. — Es scheint nach einem Briefe an seinen Bruder Karl vom 10. Januar 1803, daß er anfangs nur auf zwei solche Kompositionen (vermutlich Morgen und Abend) bedacht gewesen, worauf er aber gegen mich am 16. schon aller vier erwähnte. Beschleunigt wurde nun allerdings die Ausbildung seines Gedankens durch den Unfall, der ihm die Vollendung seines Nachtigallgemäldes auf lange Zeit unmöglich machte und so Veranlassung für ihn wurde, seine ganze Kraft auf die in der Zeichnung angefangenen Skizzen von den Tageszeiten zu verwenden.

Er beschrieb mir diese am 30. Januar und 22. Februar [HS 1,031 u. 1,035]; und es sei das unvermerkt ,,das Größte geworden, was er noch gemacht habe." — Nicht Arabesken sollten diese Bilder sein in dem Verstande, wie man Rafael's Phantasiebilder so zu benennen pflegt, mir welchen dieser seine historischen Bilder von den heiligen Geschichten umzogen, damit der Sinn unter der Betrachtung dieser ein Ausruhen und eine Erholung in jenen finden möge, ähnlich wie man sich nach tiefem Erwägen übersinnlicher Dinge an den Werken der Schöpfung und dem Treiben der Welt zur Erfrischung und Stärkung erlabt; ein Abwenden zwar, das, wenn man es zum Hauptzwecke machen wollte, durch die Mannigfaltigkeit der Gegenstände in sinnverwirrende Endlosigkeit führen würde. Herausgenommen sollte vielmehr aus solcher Mannigfaltigkeit und Endlosigkeit etwas werden, das sich alles in Einer Richtung auf einen bestimmten und festgehaltenen Zweck bezöge, wie Runge im Briefe an mich vom 13. Februar (Th. I. S. 33) angibt.

Sich zwar mit Arabesken und Hieroglyphen, wie man es immerhin nennen mag, meistens auf einen Kreis von Kindern und Blumen in der Darstellung beschränkend, wollte er das, was in dem unendlichen Leben der Natur sich auf ihre Offenbarung einer ewigen Schöpfung, ewigen Erlösung und Heiligung der Welt symbolisch beziehen läßt, also, was sie als Stoff an die Hand gäbe für das Höchste und Größte, herausgreifen, und allem Ausschweifen über die Grenze, welche solch ein ernster Zweck voraussetzt, durch eine strenge Regelmäßigkeit, die sich freilich leichter fühlen als beschreiben läßt, wehren. Der religiöse Sinn des Ganzen mußte gebunden seyn an den eigentümlichen Geist der Christlichen Religion, welche ihm wie Begeisterung so Stütze in dem Unternehmen gab. Dieser Sinn, der in der großen Einheit seines Er- und Umfassens auf eine Vollendung in der Erkenntnis des Ziels aller Künste deutete, wie sie von schaffenden Geistern und empfänglichen Gemütern seiner Zeit kaum erst geahnet worden, mußte, da die persönliche Gegenwart des Künstlers hinzukam, einen Mann wie Tieck notwendig so überraschend und mächtig ergreifen, wie Runge es in seinen Briefen vom März (Th. I. S. 33) schildert; wie denn diese Zusammenkunft hinwieder auf den Künstler unbeschreiblich stärkend wirkte, und sonderlich in Beziehung auf sein eignes Fach die Überzeugung in ihm begründete, die er durch alle folgende Zeit festgehalten hat, von der allumfassenden Bedeutung des Rhythmus der Tageszeiten. (S. seinen Brief an Steffens vom März 1809 Th.l. S. 173). In solchen Überzeugungen seine Bestimmung ahnend, ging er mit höherem Mut an die Umarbeitung und Vollendung der vier Zeichnungen für den Kupferstich, und schrieb mir am 17. April, um die Zeit, als ihm das ersehnte Erdenglück durch die Verlobung mit seiner Pauline geworden war:

„O lieber, lieber D., ich möchte nun ganz stillschweigen und fortarbeiten, daß ich mir die andre Braut auch noch hole, die eine, die not tut, wenn diese liebe P. mir nicht durch ihre Liebe zuviel geben soll."

[sonst nicht abgedruck - P.R.]

Schon weit vorgeschritten zeigte er bald darauf in Leipzig seinem Freunde Besser aus Hamburg und Anderen diese Zeichnungen, und für den mächtigen Eindruck, den sie, begleitet von seinem mündlichen Vortrage, machten, mag der Ausruf Richter's in einem Briefe an mich vom 7. Mai zeugen:

„Otto's Zeichnungen — was sind die eigentlich? Zeichnungen, Kompositionen, Phantasien sind es nicht. Du weißt, ich hing immer an allen Künsten, und viele Benennungen sind mir geläufig, aber für diese gewaltigen Erscheinungen, in welchen er die Vergangenheit, Gegenwart und Ewigkeit mit einem Zirkel — was sage ich mit einem Zirkel? umschließt, — nein, Gott weiß wie? denkt und zeigt und umfaßt, habe ich keinen Namen!"

[ nur hier abgedruckt - P.R.] — Runge wurde mit den Contouren für die Kupferstecher mit Ende des Juli fertig, wo er sie, um sie den Seinigen zu zeigen, mit nach der Heimat nahm.

Man hat in den Gebilden unseres Künstlers eine besonders architektonische Richtung finden wollen; wohl nicht bloß in dem Sinne, wie wir überhaupt durchgängig ein Unten und Oben erkennen, alles sich in der Natur nach Oben baut, insonderheit der aufrecht stehende Mensch, und die Pflanzen in ihrem emporstrebenden Wuchse; wiewohl Runge das Verzieren als den poetischen Teil der Architektur ansah. Er hatte ein eigenes Geschick, im Formen und Zeichnen von Gewächsen und Blumengruppen Rücksicht daraufzu nehmen, in wie fern sie unten, in der Mitte, oder oben angebracht und darnach schicklich gewendet würden. Soviel davon, daß die „Architektonik der Pflanzen" (worüber Dr. v. Martius in der Versammlung Deutscher Naturforscher zu Berlin eine Abhandlung verlesen hat) ihm als wichtig erschien. Bei der unermeßlichen Höhe, welche seine Konzeption der Tageszeiten in der Idee forderte, dachte er sich diese Bilder gern wenigstens in einem reckt hohen Gebäude ausgeführt, und dieser Gedanke vermählte sich seiner Vorliebe für die s. g. Gothische Baukunst, die er mit Bewunderung des Doms zu Meißen in Briefen von 1803 ausspricht [HS 2,127]

Er wollte das neueste, was seiner Meinung nach damals die moderne Kunst hervorgebracht, das Schloß in Weimar, hiermit vergleichen, den Baumeister Genz in Berlin aufsuchen, und es trug dieses mit zu seinem Entschlusse im November bei, den Weg nach Hamburg über Weimar zu nehmen (wo er zugleich den Bildhauer Tieck kennen lernen wollte u. s. w.). — 1815 gab Karl Sieveking einen schönen Aufsatz: „Der Deutsche Dom auf dem Schlachtfelde bei Leipzig" heraus; er wünschte einen solchen als Denkmal im Altdeutschen Stil ausgeführt, und sagte am Schlusse: „Wie manche Vorboten verkündigen uns die Auferstehung der Deutschen Kunst! Ich rede von der künstlerischen Glut, die Manchen so früh, ehe seine Genossenschaft und ehe sein Vaterland da war, innerlich aufgezehrt, von dem, wohin der Geist der Zeit strebt, und was diesseits und jenseits der Alpen Mancher in frommer Begeisterung, mit dem stillen Fleiß unsrer Vorfahren, zu erreichen nicht mehr fern ist." Sieveking hatte der Freundschaft unseres Runge genossen, und ich konnte mich nicht enthalten, in einer Beurteilung jener Schrift in der Zeitschrift Orient Folgendes einfließen zu lassen:

''„Ich darf getrost voraussetzen, daß dem Herzen des Verfassers der sel. Philipp Otto Runge so gegenwärtig war, wie er es ewig allen seinen Freunden bleiben wird. Bauen, Gebäude schicklich und anmutig einrichten, verzieren, mit Hausrat schmücken, seine großen künstlerischen Entwürfe, die fast alle etwas unverkennbar Architektonisches haben, sich auf Gebäude, besonders aber auf religiöse, angewandt denken, machte die innere Lust feiner Vorstellungen aus. Wie er aber seinem Werk frühzeitig entrissen worden, so liegen auch seine Skizzen da, etwas, woraus nichts, auch nur mittelbar, anzuwenden bleibt; außer daß es, ideenreich wie es ist, die Erfindung auch Andrer zu befruchten vermöchte."

Und Görres in einem Aufsatze über das Siegesmal sagte hierzu im Rheinischen Mercur: „Runge hat das Andenken seines Bruders in die Erinnerung zurückgerufen, der leider allzufrühe für die Kunst von hinnen gezogen, und es wohl verdient hätte, die bessere Zeit in Deutschland zu begrüßen. Er wäre aller dings mehr als ein andrer der Ietztlebenden im Stande gewesen, gleich einem zweiten Albertus magnus aus dem kalten Stein der Vorhalle einen blühenden Wintergarten der Phantasie hervorzuzaubern."''

Das Verlangen nach einer näheren Deutung und Erklärung des Einzelnen in den vier Bildern, wie es die Natur des Allegorischen herbeiführt, war von ihrer Entstehung an in Allen, die sie sahen, groß, und es dürften die meisten der Leser auch wohl noch jetzt durch das, was der Künstler selbst hievon in dieser Sammlung vorbringt, lange nicht zur Genüge befriedigt seyn. Im Gefühl dieses Bedürfnisses gedachte er die Blätter bei ihrer Erscheinung mit einem poetischen Kommentar als Beigänger zu begleiten, den er unter Beihilfe von Tieck (wohl gar mit musikalischer Komposition von Berger) auszuarbeiten vorhatte. „Ich werde," schrieb er den 28. März an seinen Vater, „wohl mit ihm zusammen etwas veranstalten, wie die Bilder herauszugeben und für jeden mehr verständlich zu machen; wie man nicht nach dem Spekulativen in allen Wissenschaften streben sollte, und wie alles doch nur für das Gemüth des Menschen etwas seyn, und nicht den Menschen aus sich heraus in eine unendliche Spitzfindigkeit und ein immerwährendes Hppothesenbauen zerstreuen und zerstückeln soll. Würden die Bilder ohne irgend etwas erscheinen, so könnten sie leicht eine noch größere Verwirrung anrichten, als schon da ist." —

Das Beabsichtigte ist indessen nicht zu Stande gekommen, und die Plage des Erklärens, das von ihm begehrt wurde, zumal in den Sommermonaten von 1803, wo noch immer die Empfängnis der Gestalten selbst in ihm vorging, so groß gewesen, daß es ihn, wie aus den Briefen hervorgeht, zu schwerer Klage veranlaßt; wie er denn wohl überhaupt noch in den ersten der folgenden Jahre, sowohl in als außerhalb Dresden, in guter Meinung und Treue der Sache viel zu viel getan hat. Obschon solches leicht zu dem allermannichfaltigsten Gedankenwechsel nach allen Richtungen über das, was man nur irgend fühlen und wissen kann, führte, Manchem unschätzbar erquickliche und lehrreiche Stunden gewährt hat, gab es doch auch mit vollem Rechte zu der verständigen Warnung Tieck's in dessen Briefe vom 24. Februar 1804 Anlaß.—

Schätzbar wird erscheinen müssen, was in dem Briefe an Dr.Schildener vom März 1806 (TH. I. S. 66.) in Bezug auf die Färbung in jedem einzelnen der vier Bilder vorkommt, und mit dem übereinstimmt, was er noch mehr nur erst ahnend im Briefe an mich von 1802 (Th. I. S. 16) über die Dreieinigkeit der Farben, die sich in der täglichen Geschichte der Natur offenbart, aussprach. Mehrere Aufsätze und Briefe von ihm, deren Eingänge spezielle Erklärungen seines Werkes erwarten lassen, gehen dann fast unmittelbar auf die Farbenlehre über, wie denn allerdings die Farbe als Seele des Ganzen die vier Erscheinungen des Tages in ihrem Dreiklänge durchtönt.

Was es im Ganzen überhaupt mit dem Deuten und Erklären dieser Bilder in Worten auf sich haben könne, ist in dieser Sammlung von Männern, die, selbst sinnvoll, sie mehr oder weniger mit Liebe aufgenommen, geäußert worden. „Natürliche Mystik ist vieldeutig, und die geistigen Organe sind verschieden." (Quistorp 1826.) Die Weimarschen Kunstfreunde „maßen sich nicht an, den ganzen Sinn dieser, mitunter räthselselhaften Blätter zu entfalten." (Programm von 1807.) Milarch (1821) beruft sich auf das Wort Goethe's, „daß aller Vorzug der bildenden Kunst darin bestehe, daß man ihre Darstellungen mit Worten zwar andeuten, aber nicht ausdrücken könne." (Über Kunst und Altertum in Bandes 1s Heft S.138. - 1816).

Nach Tieck hat Runge gestrebt, „die phantastisch spielende Arabeske zu einem philosophischen, religiösen Kunstausdruck zu erziehen." (In der Novelle: Eine Sommerreise. 1833). Nach Brentano (1810) „zuerst gezeigt, daß die Arabeske eine Hieroglyphe ist, und ihre Verknüpfung eine eben so tiefsinnige Bildersprache der stummen mahlenden Poesie, als das Werk der Poesie selbst eine gesprochene seyn soll." Dieses alles kommt so ziemlich auf dasselbe hinaus, was Milarch aus dem Munde des Künstlers selbst anführt, und auch mir wohl erinnerlich ist: “Hätte ich es sagen wollen oder können, so hätte ich nicht nötig, es zu mahlen." Was jedoch nicht ausschließt, daß er es gar gern sehen und freundlich aufnehmen mochte, wenn Andre das Ergebnis ihres sinnenden Betrachtens seiner Bilder, wenn es nur aus gesundem Sinne geschehen, jeder nach seiner Auffassungs- und Ausdrucksweise, auch in Worten kund gegeben und ausgesprochen haben würden; daher es ihm denn nichts weniger als entgegen war, wie Einige gewähnt haben, vielmehr große Freude gewährte, wie Görres 1808, machtvoll wie immer in die Zeit hineinredend, seine Blätter (nach dem glücklichen Ausdrucke Brentano's) „mit dem Wiederscheine seiner eignen Begeisterung zu beleuchten versuchte." —

Lassen wir jetzt einige Worte darüber fallen, wie wir oder Andre die Zeiten in ihren verschiedenen Ausdehnungen durch die in den Bildern festgehaltenen vier Momente angedeutet gefunden haben. 1. In Beziehung auf die Tageszeiten sind die Blätter schon aus der einfachen Beschreibung des Künstlers, vollends dann nach der Ansicht der erschienenen Radierungen, und endlich, wenn man sich das Colorit nach seiner Angabe hinein denkt, bezeichnend genug. 2. Jahreszeiten. Diese gehen nicht eigentlich deutlich, etwa aus einem Wechsel der Gewächse, oder der verschiedenen Handlung der Figuren auf jedem Blatte hervor, mit einziger Ausnahme des Tages, wo sich der Sommer in dieser Beziehung klar genug zu erkennen gibt, wie ihn denn auch der Künstler im eben vorhin erwähnten Briefe an Schildener mit dem Ton, den dieses Bild erfordern würde, hinlänglich bezeichnet. Ob man einen Zug des Winters dem Rahmen der Nacht, wo auch unten ein loderndes Feuer durch Strauchholz unterhalten wird, finden will, sei dahingestellt. Jedenfalls ist es im Allgemeinen nur aus Analogie mit den Tageszeiten zu erklären, was Runge in jenem Briefe von dem Daherrauschen des Jahres in seinen vier Abwechslungen: blühend, erzeugend, gebärend und vernichtend so sinnvoll sagt; ja noch bestimmter an Brückner den 28.Dezember 1807: (Th.l. S.238.) Dies führt nun unmittelbar auf 3. Lebenszeiten, oder, nach Speckter (1815): „Menschen-Leben und Entwicklung von der Geburt bis zum Heimgang, — Glaube und Anschauung in Zeit und Ewigkeit." Bezeichnen wir doch im Sprechen ohnehin schon die Stufenalter des Menschen als Morgen, Mittag, Abend des Lebens.

Was der Sinn der vier Bilder in dieser Hinsicht sey, glaubte ich in den „Rubriken" zu denselben zu finden, welche Runge im August 1807 aufschrieb, und ich (Th. I. S. 82) habe abdrucken lassen, die freilich Vielen dunkler als das Bildwerk selbst vorkommen mögen. Ich machte nach Anleitung dieser Worte einen schwachen Versuch (in Friedr. Schlegels Deutschem Museum von 1812, 2r Band, 7s Heft), die vier Hauptmomente der Entwicklung des Menschengeistes nachzuweisen, als: a. Lichtwerdung — und deren Wahrnehmung und Aufnahme in Geist und Gemüth, b. Begreifen und Aneignen der Kreaturen, die das All erfüllen, c. Betrachtung und wehmütige Empfindung der Unvollkommenheit, Nichtigkeit und Sündhaftigkeit in unsrer Benutzung des Lebenstages im Vergleich mit dem geahnten oder erfaßten Ursprung aller Existenz, d. Erkenntnis (wenn nicht schon hienieden, dann höher, schauend, im Jenseits) des Zusammenhanges des Irdischen mit dem Ewigen, und Anschauung des Bleibenden, Gottes. 4. Weltzeiten. Entstehung, Wachstum, Verfall und Untergang der Völker, Jugend, Blüte, Reife, Versinken — und Verklärung der Menschheit möchten sich in ähnlicher Weise symbolisieren lassen (Runge sagt in dem mehrerwähnten Briefe vom März 1806: „Leider stehen wir mit der gegenwärtigen Weltzeit im Herbst, auf welchen die Vernichtung folgt; selig der, welcher daraus auferstehen wird!") und Spuren davon findet man wohl am besten bei Görres angedeutet oder nachgewiesen#).

#) Auch ein Analogon davon, wie man von Göttlicher Waltung nach Anleitung der Zeitmomente in den Naturerscheinungen sprechen könne, gewissermaßen eine Entwicklung der Vegetation Göttlicher Offenbarung, Verheißung und Erfüllung, gab mir ein verehrter Freund in einer Predigt: „Die Untrüglichkeit der Göttlichen Verheißungen bestätigt durch die Erscheinung Jesu Christi," welche er über es. XL. 5 - 8. hielt. Er stellte die Verheißung 1. Mos. III.15. als die Wurzel der Weissagungen und aller ferneren Zusagen Gottes voran (wie auch in den heiligen Sagen aller alten Völker es durchklinge, daß ein goldnes Zeitalter gewesen sei und wiederkehren werde), nannte dann den Stamm aller späteren Verheißungen die dem Abraham und seinem Samen, und damit allen Völkern gegebne Zusage 1. Mos. XII. 2. 3., aus welchem Stamme dann als Äste alle später an Israel ergangenen Weissagungen von einem großen Propheten und großen Könige hervorgesprossen, bis in der Fülle der Zeit das Ziel von allen diesen Verheißungen, Jesus Christus als die Blüte der Menschheit hervorging. Das Heu ist verdorrt und die Blume verwelkt, aber der Baum des Lebens blüht und wächst und seine köstliche Frucht sind die bekehrten, zu Gott geführten Völker, und Alle, die seinen Verheißungen ferner und immer fester vertrauend nach 2. Petr. III. 13. eines neuen Himmels und einer neuen Erde warten, in welchen Gerechtigkeit wohnt, und glauben, daß, wenn selbst einmal die Sonne erlischt und Sterne wie dürre Blätter fallen, und der Himmel zusammengerollt wird wie ein Blatt, Gottes Wort und Verheißung dennoch besteht.

Für den dichtenden Künstler aber, welcher um ein Ganzes in Übersicht zu geben, die Enden fassen muß, fällt dieses wohl zusammen mit 5. Zeit und Ewigkeit, oder dem religiösen Standpunkte für das Ganze. Diesen geben vornehmlich die Rahmen (Wandgemälde) an, welche nach Milarch's Ausdruck „alle das Verhältnis des dargestellten Zeit- und Lebensmoments zum Ewigen und Unwandelbaren — wodurch ja erst alles in die Erscheinung Tretende Bedeutung gewinnt — klarer hervortreten lassen;" nur daß, wie ich meyne, auf dem vierten Blatte, der Nacht, diese höhere Bedeutung bestimmter auch in das innere Bild übergeht. Und in dieser Absicht mit den Randbildern, über das lieblich und sinnig landschaftliche Weben in den innern Bildern den höheren geistigen Sinn auszuschließen, liegt wohl vornehmlich der wesentliche Unterschied von der Rafaellschen Arabeske, bei der ein mehr als umgekehrtes Verhältnis stattfindet; so wie die Notwendigkeit hervorzugehen scheint, daß diese Ränder ebenfalls in Farben und Lufttönen gemalt werden mußten. —

Unser Freund Hr. Brückner schrieb mir 1837.- „Ohne Zweifel sei doch die Grundidee des Werkes die ursprüngliche Verbindung des Menschen mit Gott in der Jugend der Menschheit und des Einzelnen, seine Trennung von Gott in der Mitte des Lebens- und Weltgeschichts-Tages, seine Heimkehr zu Gott am Abend."

Eine Hälfte dieser Idee scheine ihm auf verwandte Weise ausgesprochen in Rafael's Disputa: Auf der Erde Meinungsverschiedenheit und Streit; in den Wolken Harmonie, die sich um den ewigen Sohn, der am nächsten und innigsten im Sakramente als Mittler zwischen Gott und den Menschen wirkt, concentrire; endlich hinaus über den Raum des Bildes und über dessen Gipfel Gott der Vater, wohnend in einem Lichte, zu welchem niemand kommen kann, und der heilige Geist, der von oben herab seine unsichtbare Einkehr in die Herzen der Gläubigen nimmt. Nicht vergebens habe wohl der große Künstler in demselben Zimmer die Schule von Athen gegenüber gestellt, wo die Weisheit der Welt in ihren Repräsentanten deren Schüler lehrt, die aber eines gemeinsamen Mittelpunktes völlig entbehren. —

Und eine herrliche weibliche Seele, die es noch jetzt freudig bekennt, was durch die „Mosesblicke unseres Seligen in das ewige Canaan" ihr vor dreißig Jahren in seinen Gesprächen und Deutungen geworden, wie dadurch „Christus in ihr zur ersten Dämmergestalt erschienen, so daß sie Ihn auch außer sich als das verklärende Leben zu ahnen begonnen," sagt von ihm unter vielem andern: „Das Offenbarungslicht trat ihm aus der Natur analogisch entgegen in sein Inneres, das die Bibeloffenbarung als Schlüssel hatte." — „In ihm lebte das einfältige lebendige Christentum, seine Kunst war ihm nur eine Brücke zwischen ihm und seinen Brüdern, und nicht mehr und nicht weniger so auch alles, was sein Auge sah und sein Ohr vernahm. Er war ein Christlich Genie im umfassendsten Sinn des Worts; alle Funken, die da heraussprühten, waren Christlich. Er hatte die wahre Poesie: Gott, — der in Christo war und versöhnte die Welt mit sich selbst - in Natur, Geschichte und Bibel." — „Gott führt mich in seinen Fügungen gleichsam gewaltsam zurück, hin zu dem, das mich zuerst aus dem geistigen Todesschlummer weckte; o es ist schön, daß ich wieder erhalte, was unter ernsterem Scheidungsprozeß wie abgetrennt schien in meinem Gemüte. Ich verstehe nun seinen wichtigen Abendmahlsbrief an seine Pauline (vom April 1803 [wo??? P.R.]) besser, als da sie ihn mir zuerst zeigte, nachdem jetzt der Tod mir wie Leben erschienen, und die Sehnsucht, ihn zu verstehen, mir so teuer und in mir lebendig ist. In Otto's Kunst ist Ewiges, und ich danke Gott, daß ich aus tiefer Erfahrung heraus nun davon gegrüßt werde, als von einem Liebesstrahl Gottes, rufend, daß ich auch daran und an Verwandtem lernen soll, daß, wie Otto sagte, der wahrhaftige Glaube als Bild auch in und um uns muß gefunden werden." — „Lange ist's ja Tag, ehe die Sonne aufgegangen; hinter den Wolken selbst würkt sie durchdringend. Das wußte Otto auch, und daraus leuchtet sein Bildnis meines *[ vermutlich Petersen ] so herrlich: ein Sonnenstrahl von außen weckt die Erscheinung des inneren Lichtes wie mit einem Zauberstabe. Sein in die Farben der Wahrheit getauchter Pinsel war schon hier ein Seher und erkannte die himmlische lichtvolle Leiblichkeit des Christen im verborgenen Menschen. Christus in uns bedingt und giebt die Verklärungsgestalt, — und nun wird es euch wohl klar, warum mein himmlischer Lehrmeister mich jetzt zur ersten Morgenröte des Tages, — des Tages der unsichtbaren Welt, die uns so nahe umgibt, und dessen Schönheit Otto's Morgen mir 1808 erschloß, so tröstend hinwendet. Ja, der Herr kommt, und in Seinem Lichte sehen wir das Licht, — auch das in Otto's Worten und Werken." —

„Mit demselben Grunde jetzt, wie ihn Otto hatte, erscheint mir und erfahre ich es durch Gottes Gnade, daß seine Kunst mit der Heilsordnung übereinstimmt, wie alle seine Gedanken in den Rahmen ausdrücken, und die Gegenwart des neuen Himmels und der neuen Erde in den Bildern selbst ausgedrückt ist. Wahrlich, Otto hat auf den Grund, Jesus Christus, Gold, Silber und Edelsteine gebaut (1. Kor. III. 10 — 15.)"

„Ja, es sehnt sich in mir nach dem Wege Mitfühlender, der ja auch den einfältigen Grund durchaus hat, aber auch das Vermögen, eben durch höhere Entwicklung, den Dreieinigen Gott in Natur, Kunst, Poesie, Geschichte, - Freiheit, - Liebe, aufzusuchen, und dann die Sehnsucht, davon Zeugnis abzulegen, ein jeder auf seine Weise, nach dem Pfund, das ihm von Gott geliehen, ihm selbst zur Entwicklung."

„Otto's Leben und Wirken war ein Schauen der höheren Herrlichkeit. Was sich so klar und freudig in seinem Christlichen Gemüte auf und ab bewegte, das wollte er, in der Liebe zum Nächsten entzündet, wieder geben; - Gott erlaubte es ihm, den Schlepper zu lüften, nicht zu heben !" — „Ja es will gelernt seyn, so zu schauen, wie er! Gewiß ist das Gebet und der heilige Geist der beste Lehrmeister, aber der hat ja auch seine Diener, und ein solcher war unser geliebter Otto, ja ein Seher in Gottes Geheimnisse, der das zerstreute verdeckte Paradies auf der armen Erde, der verfluchten, die uns zu oft Dornen und Disteln trägt, und auf der Tod und Verwesung und die Sünde atmet, als so viele Elemente aufdeckt, oder als Teile der neuen Erde, die keimend unter der alten liegt und hie und da sproßt, und lächelnd verheißt!" —

Aber in diesem, zwar so sicher in sich begründetem Sinne stückweise die Bilder unseres Künstlers und das Einzelne in ihnen zu erklären, wird wohl immer schwer bleiben und meistens den Erklärer selbst nie völlig befriedigen, da auch über die Wahl der Symbole selbst die Meinungen und der Geschmack so verschieden seyn können. Im Allgemeinen jedoch einfach genug führen die Dreyeinigkeits-Symbole auf die Lebens- und Weltgeschichtsfolge, die nach Anleitung der Offenbarung angedeutet ist. Es sind darnach erkennbar: 1) Die Geburt, Ahnung, Wahrnehmung des Lichtes in dem Morgen des Lebens, der Jugend und Unschuld. 2) Die vergebliche Bestrebung am Lebenstage, den zwar Gott erleuchtet und vielfach segnet, nur aus eignen Kräften zu dem Allerbesten, und zu dem Begriff und der Erkenntnis des höchsten Gutes zu gelangen, und damit die Irrtümer, Trennung und Spaltung, und das menschliche Elend; ja auch immer, wenn und wiefern es köstlich war, ist das Leben Mühe und Arbeit gewesen. 3) Die Gnade und Erbarmung des Heilandes, die der Reue und Demut im Glauben und in der Treue, besonders am Abende des Lebens entgegenkommt. Endlich 4) der Tröster, der heilige Geist, in Zeit und Ewigkeit; und „diese Drey sind Eins," wenn nun aus der Nacht des Lebens, es sei schon hier anfangend, oder einst dort in Vollkommenheit, ein neuer Morgen im höheren Lichte dir aufgeht. — Anders ausgedrückt geht der Sinn in den beiden ersten Blättern auf Gottes Schöpfung und Erhaltung, im dritten auf Versöhnung und Erlösung, im vierten auf Vollendung und Heiligung; und sind die drei Stufenfolgen von der Erde und Endlichkeit in den Himmel, in den Nahmen, am deutlichsten auf dem ersten und vierten Blatte festgehalten. Unten am dunkeln Pol, an der Finsternis, dem Erdenfeuer oder irdischem Licht (nur im Abende von der Gnade des Erlösers berührt) geht immer nach den entgegengesetzten Seiten hin mehr oder weniger eine Trennung vor, sei es der Geschlechter, des Ich und Du u.s.w., und die Getrennten winden sich, jedes an seiner Seite, durch die Freuden und Leiden des, vom höheren Lichte aus in dem Dreiklange der Farben (an Blumen) verklärten Lebenstages, mit oder ohne Erfolg strebend, zum ewigen reinen Licht hinauf, wo Getrenntes, wenn bewährt, sich zu und in ihm wieder sammelt. Auf dem letzten Blatte wird die Nacht von einer funkensprühenden Traumsonne beleuchtet, deren Dampf (durch Nachtviolen angedeutet) mit einer grauen Trübe den Grund der Luft füllt, über welchem jene Sonne den farbigen Bogen des Friedens bildet, der das Traumreich der Erde von der oberen lichten Region abschneidet. „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich euch, wie die Welt giebt."

Hr. Milarch hat uns die Erklärung unseres Runge aufbewahrt, daß die von ihm dargestellten Sterngeister Richter des Lebens der Erdenbewohner sind. (Man vergleiche in dem Briefe von Runge an Besser vom 20. April 1803). Wie in den Träumen der Menschen das Gewissen, welches doch selbst nichts weniger als Traum ist, am regsten zu seyn pflegt, so sitzen hier die richtenden Kinder auf den Blumen des Schlafes und verkünden hinauf zu der ewigen Heiligkeit und Gerechtigkeit die Gedanken und Taten der Sterblichen; aber, Preis und Anbetung dem Heiligen ! es thront die Gnade als Mutter („Kann auch ein Weib vergessen ihres Säuglings u. s. w.") in ihrer Mitte, und die Hoffnung der Vergebung in Christo stirbt nicht; über ihr glänzt der tröstende Mond. (Zu dem Versuch von Milarch, jeden einzelnen der Sterngeister zu charakterisieren, stimmen die Worte des Künstlers im Briefe an Schildner vom 13. April 1805, [HS 1,193] „daß er sich die Gradation oder Folge von Entfernung und Annäherung in der Gebehrdung dieser Figuren ausgeführt immer sehr schön vorgestellt habe." Eine größere Ausführung derselben findet sich zum Teil in der Zeichnung auf Malertuch, die er im Winter 1803 - 4. gemacht.) Im Rahmen hat die Weisheit unten sich ein Feuer aus Zweigen des Friedensbaumes gezündet; zu den Seiten aber streben auf Seelenschwingen Glaube, Liebe, Hoffnung, in den Blumen der drei Farben himmelan, und sind in den drei Genien oben nicht zu verkennen, welche den Besuch des Gottesgeistes in den Herzen anbetend erflehen.

Andre mögen andre Kombinationen, und vielleicht, ja wahrscheinlich, mit mehr Glück versuchen. Es liegt in der Absicht der Kunst, durch ihre Werke die Gemüter auf mannigfaltige Weise anzuregen, und wohl noch nie ist der ganze Sinn eines wahrhaft vollkommenen Bildes von Allen und zu jeder Zeit übereinstimmend und genügend erklärt worden. Es ist Zeit, daß wir auch eben noch des Weges der Kunst überhaupt erwähnen, den Runge eingeschlagen, und den zu rechtfertigen der Gegenstand so vieler seiner Entwicklungen und Briefe gewesen. Seine frühesten Schritte auf diesem Wege sind aus den sechs Aufsätzen und Briefen vom Jahr 1802 abzunehmen, mit welchen wir das erste Buch dieser Sammlung angefangen haben.

Sehr allein gelassen durch die augenscheinliche Unzulänglichkeit aller akademischen Leitung zu seiner Zeit hatte das dringende Bedürfnis, sich seinen Weg selbst zu suchen, in dem sehnlichen Verlangen, die lebende Quelle in sich zu finden, aus welcher die herrlichen Kunstgebilde, die ihn umgaben, hervorgegangen waren, das Gefühl in ihm rege gemacht und befestigt, daß, um zu dieser Quelle zu gelangen, die herkömmliche gebahnte Straße, wie sehr auch immer durch mächtige neuere Beredsamkeit gepriesen und empfohlen, der Weg nämlich, nur immerfort und hauptsächlich, wo nicht gar ausschließlich, durch Nachbildung der, freilich in Vollendung noch unübertroffenen antiken Formen und Kompositionen, (- welche Nachbildung, nach dem Vorübergehen der früheren Altdeutschen und Altitalienischen Schule gleichen Schritt mit dem Wiederauftreten alter Literatur und Wissenschaften haltend, eben auch in den Kunstbestrebungen der Neueren vorwaltend und herrschend geworden war, —) in ihren Geist einzudringen, des Zieles gänzlich verfehle; daß Befriedigung nur aus dem innersten Kern der Seele, und Erkenntnis eines, sein wahres Bedürfnis ahnend empfindenden Zeitgeistes werde geschöpft werden können; daß, da es an einer neuen, allgemeine Zuneigung auf sich ziehenden Formenwelt fehle, Sinnbilder zum Versuche dargeboten werden möchten, geschöpft aus den, von Gottes Hauch belebten Naturbildungen und Erscheinungen, begünstigt durch den, der neueren Zeit eigentümlichen weiteren und freieren Blick in Kenntnissen und Einsichten: beseelt endlich müsse diese neue Arbeit durch und durch seyn von dem, und wäre es denn auch nur in dämmernden Jugenderinnerungen, in der Seele des dichtenden Künstlers, wie bei der ihm nachempfindenden Mitwelt noch lebendigen, dem Einzelnen und der Menschheit wie kein anderer heilbringenden Christenglauben.

„Die Sache,” so schrieb er am 1. Dezember 1802 an Tieck, „würde für jetzt fast weit mehr zur Arabeske und Hieroglyphe führen, allein aus diesen müßte doch die Landschaft hervorgehen, wie die historische Komposition doch auch daraus gekommen ist. So ist es auch nicht anders möglich, als daß diese Kunst aus der tiefsten Mystik der Religion verstanden werden müßte, denn daher muß sie kommen und das muß der feste Grund davon seyn, sonst fällt sie zusammen, wie das Haus auf dem Sande", und wie dort (Th. I S. 27.) die lesenswerten Worte ferner lauten. — Den frühesten dunkeln Anklang hierzu in ihm hatte wohl schon bei seinem ersten Aufenthalte in Hamburg Tieck´s Sternbald gegeben, und als er nun mit diesem, rein und innig empfindenden Manne in Dresden persönlich befreundet wurde, bildete sich, was beide so lebhaft berührte, zu bestimmten Gedanken aus, die aber in dem Künstler Faßlichkeit und Körpergestalt mit einer den Freund überraschenden und ergreifenden Gewalt gewannen. Es ist dabei überaus begreiflich, daß Runge unter der Empfängnis solcher Ideen und Gestalten nur noch sehr unklar und mystisch auszusprechen vermochte, was ihm in andern Künsten und Kenntnissen in Beziehung auf die, welche zu erobern er trachtete, zur Ver< qleichung zu dienen schien. In den ersten Monaten des Jahrs 1802 hatte aber Friedrich Schlegel sich in Dresden aufgehalten, und ohne Zweifel mit Tieck (der gleich ihm früher mit Novalis in inniger Geistesgemeinschaft gelebt) diese, wie andre verwandte Gedanken im Herzen und Geist bewegt und fleißig besprochen, wenn gleich er mit Runge wohl weniger unmittelbar in Berührung gekommen.

In Schlegel's kräftig ordnendem Geiste nun bildete sich das zu einer systemartigen Kunstan- und Übersicht, und als jetzt im Laufe des Jahrs 1803 nacheinander die vier ersten Hefte der Zeitschrift Europa, deren Herausgabe er von Paris aus betrieb, erschienen, fiel es uns in Hamburg merkwürdig auf, darin Aussichten für die Kunst und Begriffe von derselben ausgesprochen zu finden, welchen fast dieselben Ideen zum Grunde lagen, die uns Runge, nur aber in mehr praktischer Beziehung mitgeteilt; oder fast alle Umrisse seiner Gedanken. Der Künstler selbst war mit diesem so deutlichen öffentlichen Heraustreten in Worten unzufrieden, es schien ihm voreilig, ohne daß erst augenfällig eine Probe der Welt vorgelegt worden; und wie bedenklich denn auch freilich dieses, zwar in der Natur und Wirkensart des Schlegelschen Geistes wohl begründete Verfahren angesehen werden mußte, hat sich genügsam in der Polemik Goethe's gegen den neuen Kunstweg gezeigt, der in derselben ohne Zweifel mehr noch den Lehrer (diesen beständig seine eifersüchtige Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Denker) als die ausübenden Künstler im Auge gehabt hat.

—Unsre besorglichen und weit gehenden Folgerungen aber, als sei unser Künstler vielleicht zu einem förmlichen Lehrgebäude mit den ihm befreundeten Geistern vereinigt, wieß er mit den Worten zurück: „Es ist mir wunderlich, daß du so schreibst, als wäre unter mir und Tieck samt den Schlegel'n ordentlich ein Traktat da; du hast es aber nicht so gemeint und ich verstehe dich doch gar gut. Lieber, ich stehe weit mehr allein, als du glaubst, und muß mich gegen Freunde auch meiner Haut wehren."

Es bleibe nun an diesem Orte dahin- und der Erörterung von Befähigteren anheimgestellt, was unseres Künstlers, so wenig oder gar nicht auf seiner kurzen Lebensbahn durch die Zeitumstände begünstigtes Streben in der Kunst geweckt haben möge. Zwar es schien ihm noch 1809 (Brief an v. Klinkowström vom 3. November): „So wenig auch die Umgebungen es fügen wollten, daß gradezu Kunstwerke produziert würden, komme man dagegen unwillkürlich mehr oder weniger dazu, die Kunst zu produciren, welches ja der Zeit, wenn man von produktiver Tätigkeit überhaupt sprechen wolle, anheimfalle."

Brentano meinte (1810), es sey, damit „die Nachwelt sich mit seinen wenigen, öffentlich gewordenen Arbeiten verstehend berühre, auch dieses Wenige genug, wenn Gott sie nicht verlasse;"

Speckter (1813): seine „Kunstansicht und Bestrebungen" seien „will's Gott! nicht ohne Einfluß" vorübergegangen; und ich selbst erkühnte mich noch 1837, auszusprechen, daß er wohl den Meisten „aus der jetzt in schöner Blüte dastehenden neuen Deutschen Schule der Kunst - wesentlich zu einem Anfange geworden seyn möge."

Inzwischen konnte es auch nicht fehlen, daß das in der Zeit nicht mehr zu unterdrückende Verlangen und Bedürfnis eines tieferen Ganges und einer neuen Ansicht der Kunst, und das nachfolgende Aufsprießen und Gedeihen derselben, damit aber auch das Streben unseres Runge, heftige und vielfache Anfechtungen von Seite des im vollen Besitze stehenden Hergebrachten in Verehrung und unbedingter Anpreisung insonderheit der Griechischen Antike erleiden mußte. Wenn wir auch solche Spöttereien übergehen, wovon wir nur eine kleine Probe in einem Sonett des jüngeren I. H. Voß (das wohl mehr wider einige Zerrbilder gerichtet gewesen seyn mag, die als seinwollende Nachahmungen der Weise unseres Künstlers im Anfange hie und da auftauchten) grade der wirklichen Anmut desselben wegen aufgenommen haben, so können wir doch dem ernsteren Tadel nicht vorbeisehen, welchen am entschiedensten die Weimarsche Künstlerschule wider die ganze, von ihr so genannte „Neudeutsche, religiös-patriotische Kunst” ausgesprochen hat, und den wir hier aus den Sammlungen, in welchen er enthalten, kürzlich zu summieren versuchen. Wir schließen die vaterländische Tendenz, welche darin ebenfalls gemustert und gerügt wird, nicht ganz aus, obgleich unser Runge anfänglich keine, und in der Folge kurz vor seinem Ende nur erst wenige Veranlassung, sich auch dieser hinzugeben, fand. Sie ist zu genau mit der religiösen verbunden gewesen, als daß wir sie durchaus davon trennen könnten, und niemand wird so leicht zweifeln mögen, daß sie seinem Gemüte, hätte er die folgenden Jahre erlebt, nichts weniger als fremd geblieben seyn würde. Sollten endlich einige unsrer Leser unter den Äußerungen, die wir jetzt anführen und zusammenstellen wollen, Widersprüche, wenigstens scheinbare , in den Ansichten entdecken, so wird es nicht eigentlich unsre Sache seyn, diese zu heben, indem die Absicht nur ist, und seyn kann, die eigentliche Beschaffenheit der Bemerkung, deren Goethe in keinem der Briefe, durch welche er die Einsendungen unseres Künstlers mit so lebhaftem Interesse, Wohlgefallen und Freude aufnahm, sich erwehren konnte, „daß es zwar nicht der Gang sey, den er der Kunst wünsche," aus seinen im Druck erschienenen Schriften nachzuweisen.

In den Propyläen 2n Bandes 2s Heft, welches 1799 (oder 1800) erschien, in einem Aufsatze: „Über Lehranstalten, zu Gunsten der bildenden Künste," welcher unsern jungen Künstler (damals in Kopenhagen) wie die ganze Zeitschrift überhaupt mit einer vorher nie erfahrenen Macht anzog, heißt es unter anderem: „Glaube oder behaupte doch niemand, dem es um Erforschung und Ausbreitung der Wahrheit zu thun ist, daß die Christliche Religion den bildenden Künstlern hinderlich gewesen; ohne dieselbe wären sie vielmehr wahrscheinlich nie wieder erstanden. Es bedürfte des Enthusiasmus des Christentums, wenn der mächtige, dauernde Anstoß bewirkt werden sollte, dessen schönes Resultat wir nun in so manchem Meisterstück großer Künstler bewundern." — „Wie günstig der Christlich-religiöse Antrieb auf die bildenden Künste gewirkt hat, erhellet ferner daraus, daß, sobald derselbe anfing, schwächer zu werden, sie auch ihr höchstes Ziel erreicht hatten." — „Die Ursache also, warum die Künste gegenwärtig so ohnmächtig, so untätig sind, daß man befürchten muß, sie werden immer ferner sinken, ja zuletzt vielleicht gar aufhören, ist nicht eine besondere, die durch den Willen einzelner Personen gehoben werden könnte, sondern eine allgemeine, welche in der Neigung, den Sitten, den Gewohnheiten, dem Glauben des Volks, ja nicht nur Eines Volks, sondern aller Völker, die gegenwärtig auf Kultur Anspruch machen, ihren Grund hat." — „Wo stehen wir denn gegenwärtig? Es ist wahr, daß seit Mengs und Winkelmann sich Geschmack und Stil verbessert haben. Es ist wahr, wir bedienen uns der antiken Muster fleißiger, als die Künstler des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts getan, denn sie folgten in theoretischer Hinsicht andern Maximen und hatten darin vielleicht Unrecht; allein wer möchte behaupten, daß die Werke unsrer besten Meister denen des Peter von Cortona, Andreas Sacchi, Karl Maratti u. A. an innerem Geist, Leben, Einklang und Wirkung auf das Gemüth des Beschauers überlegen sind ? und dieses ist doch am Ende der Maßstab, nach welchem allein man den wahren, wesentlichen Wert der Kunst und Kunstwerke beurteilen kann. Wir können also mit völliger Überzeugung wiederholen, als Resultat von allem dem, was wir über diesen Gegenstand bemerkt und gedacht haben: Die bildenden Künste sinken, und lassen befürchten, daß sie immer mehr sinken werden." —

Einige Hoffnung, sie höher emporzubringen, wird dann endlich, wiewohl nicht mit Wahrscheinlichkeit, auf die Bemühung vereinter Kunstfreunde, richtige Grundsätze festzustellen und solche unter den Künstlern zu verbreiten, gesetzt: „Das Talent kann sich wenigstens von Seiten der Wissenschaft und Erkenntnis ausbilden; die Kritik, welche sich auf Erfahrung stützt, muß sich wie ein Damm dem einbrechenden Verderben entgegensetzen, den Sturz aufhalten, jede Unart des Geschmacks rügen, denselben vor jeder Verirrung, zu der er sich neigen möchte, bewahren."—

Im 2n Heft des 3n Bandes (1800) heißt es dann in einer (sehr) flüchtigen Übersicht der Kunst in Deutschland: „In Berlin scheint, außer dem individuellen Verdienst bekannter Meister, der Naturalismus, mit der Würklich-keits- und Nützlichkeitsforderung, zu Hause zu seyn und der prosaische Zeitgeist sich am meisten zu offenbaren. Poesie wird durch Geschichte, Charakter und Ideal durch Portrait, symbolische Behandlung durch Allegorie, Landschaft durch Aussicht, das allgemein Menschliche durch das Vaterländische verdrängt. Vielleicht überzeugt man sich bald, daß es keine patriotische Kunst und patriotische Wissenschaft gebe. Beide gehören, wie alles Gute, der ganzen Welt an und können nur durch allgemeine, freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden, in steter Rücksicht auf das, was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist, gefördert werden."

In Goethe's Werken (Auflage von 1828) finden wir im 31n Bande aus seinen „Tag- und Jahresheften" Folgendes von 1802 aufgenommen: „Indem wir uns auf jede Weise bemühten, dasjenige in Ausübung zu bringen und zu erhalten, was der bildenden Kunst als allein gemäß und vorteilhaft schon längst anerkannt worden, vernahmen wir in unsern Sälen, daß ein neues Büchlein vorhanden sey, welches vielen Eindruck mache#); es bezog sich auf Kunst und wollte die Frömmigkeit als alleiniges Fundament derselben festsetzen.

#) Nach dem von Hrn. Musculus gefertigten Register im 45n Bande, unter dem Namen Wackenroder, wären hier die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders," bekanntlich herausgegeben von Tieck, gemeint, welches Buch jedoch schon 1797 erschienen war. Dieses vorausgesetzt könnte die hier oben bezielte, und diesemnach doch wohl mit allzugroßer Freiheit behandelte Stelle schwerlich eine andre als die hier folgende in dem Aufsatze: „Die Mahlerchronik" seyn. Ein alter Italienischer Pater sagt zu einem jungen Manne, von den ältesten Malern Italiens sprechend: „Diese ehrwürdigen Männer, von denen mehrere selbst Geistliche und Klosterbrüder waren, widmeten die von Gott empfangene Geschicklichkeit ihrer Hand auch bloß Göttlichen und heiligen Geschichten und brachten so einen ernsthaften und heiligen Geist, und so eine demütige Einfalt in ihre Werke, wie es sich zu geweihten Gegenständen schickt. Sie machten die Malerkunst zur treuen Dienerin der Religion, und wußten nichts von dem eitlen Farbenprunk der heutigen Künstler: ihre Bilder, in Kapellen und an Altären, gaben dem, der davor kniete und betete, die heiligsten Gesinnungen ein."

Von dieser Nachricht waren wir wenig gerührt, denn wie sollte auch eine Schlußfolge gelten können wie diese: Einige Mönche waren Künstler, deshalb sollen alle Künstler Mönche seyn?" — Im 32n Bande aus denselben Heften (von 1808): „Auch wurden uns im Spätjahr eine Anzahl landschaftlicher Zeichnungen von Friedrich die angenehmste Betrachtung und Unterhaltung. Sein schönes Talent war bei uns gekannt und geschätzt, die Gedanken seiner Arbeiten zart, ja fromm, aber in einem strengeren Kunstsinn nicht durchgängig zu billigen." — Im 44n Bande unter: „Verschiedenes Einzelne: — Die Kunst ruht auf einer Art religiösem Sinn, auf einem tiefen unerschütterlichen Ernst; deswegen sie sich auch so gern mit der Religion vereinigt. Die Religion bedarf keines Kunstsinnes, sie ruht auf ihrem eignen Ernst; sie verleiht aber auch keinen, so wenig sie Geschmack giebt."— Und im 45n Bande (unter „Deutsche Literatur") will Goethe bei Tieck eine Art von Bekehrung „zum klaren blauen Himmel des Menschenverstandes" durch dessen Novelle: Die Verlobung, verspüren; er dankt ihm mit Inbrunst dafür.

1811 in seinem schätzbaren Begleitbriefe über den Verlust meines Bruders schrieb mir Goethe: „Der Gang, den er nahm, war nicht der seine, sondern des Jahrhunderts, von dessen Strom die Zeitgenossen, willig oder unwillig mit fortgerissen werden."

Das erste Heft: „Über Kunst und Altertum" erschien 1816 und ist mit dem Bericht von einer Reise Goethes in den Rhein- und Main-Gegenden angefüllt, wo er zuletzt bei Heidelberg stehen bleibt, und ihn die Boisseree'sche Sammlung zu einer Übersicht der Geschichte der Altdeutschen bildenden Kunst nach dem Verfall der antiken veranlaßt. „Der Christlichen Kirche sind wir die Erhaltung der Kunst, und wär' es auch nur als Funken unter der Asche, schuldig. Denn obgleich die neue innerliche, sittlich-sanftmüthige Lehre jene äußere, kräftig - sinnliche Kunst ablehnen, und ihre Werke, wo nicht zerstören, doch entfernen mußte, so lag doch in dem Geschichtlichen der Religion ein so vielfacher, ja unendlicher Same als in keiner andern, und daß dieser, selbst ohne Wollen und Zutun der neuen Bekenner, aufgehen würde, lag in der Natur." —

„Wenn die Hellenische Kunst vom Allgemeinen begann und sich ganz spät in's Besondre verlor, so hatte die Christliche den Vorteil, von einer Unzahl Individualitäten ausgehen zu können, um sich nach und nach in's Allgemeine zu erheben." Es sind dieses Individualitäten des Alten und des Neuen Bundes, welche die damals neue Kunst auftreten zu lassen berechtigt war. Es wird nun auf eine eben so lehrreiche als anziehende Weise die Entwicklung dieser Kunst aus der, unmittelbarer an die erloschene Griechische grenzenden Byzantinischen, ihre Befreiung von deren starren Felsen und mumienhaftem Stil in folgenden Jahrhunderten, besonders vom dreizehnten an durch das Aufbrechen eines frohen Naturgefühls erzählt, und mit Johann van Eyck als dem Gipfel geschlossen. „Den originalen Künstler," heißt es sodann, „kann man also denjenigen nennen, welcher die Gegenstände um sich her nach individueller, nationaller und zunächst überlieferter Weise behandelt, und zu einem gefügten Ganzen zusammenbildet. —

Sieht man es denn Albrecht Dürer'n sonderlich an, daß er in Venedig gewesen ? Dieser Treffliche läßt sich durchgängig aus sich selbst erklären. Und so wünsche ich den Patriotismus zu finden, zu dem jedes Reich, Land, Provinz, ja Stadt berechtigt ist: denn wie wir den Charakter des Einzelnen erheben, welcher darin besteht, daß er sich nicht von den Umgebungen meistern läßt, sondern dieselben meistert und bezwingt, so erzeigen wir jedem Volk, jeder Volksabtheilung die Gebühr und Ehre, daß wir ihnen auch einen Charakter zuschreiben, der sich in einem Künstler oder sonst vorzüglichem Manne veroffenbart."

Nun aber stellten in dem folgenden zweiten Hefte (1817) die Weimarischen Kunstfreunde warnend im Gegenbilde zu der Altdeutschen die „Neudeutsche" Kunst auf; nicht etwa als eine Anstrengung (nachdem „die Götter Griechenlands" auch in der neueren Zeit für sich allein sich als wenig oder gar nicht fähig noch fruchtbare Samen auszustreuen, bewiesen), gleichwie jene gepriesenen Altdeutschen Männer aus der Byzantinischen, so aus der Altdeutschen und Altitalienischen Kunst die ihrige zu befruchten, sondern als ein gänzlich verkehrtes und verfehltes Unternehmen. Man möchte zwar anfangs glauben, wie es wenigstens die ersten Zeilen des Aufsatzes vermuten lassen, es sei nur darauf abgesehen, den Mißbrauch einer „leidenschaftlichen Neigung zu dem ehrenwerten, naiven, doch etwas rohen Geschmack, in welchem die Meister des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts verweilten," zu bekämpfen; aber bald wird als gleichartig, wenn auch noch so entfernt von jenem Mißbrauche, jede Bestrebung mit hineingemengt und in dieselbe Verdammnis herabgezogen, die dahin ginge, aus dem eignen Geiste, und dem sich seiner selbst bewußten der neueren Zeit, etwas herauszubilden, und sich den Fesseln der gräcisirenden Lehrmethode zu entwinden; eine Bestrebung, die dem wohlbedachten Grundsatze des alten Dürer's entspräche: „Ich will garnicht antikisch mahlen, oder Italisch, sondern ich will Deutsch mahlen. "(M. s. Schlegel's Europa 2n Bs. 2s Heft S. 117). —

In einer Zeitfolge, zurücktretend bis vor den Anfang der achtzigerIahre des vergangenen Jahrhunderts, werden mancherlei kleinere Erscheinungen angeführt, welche vermeintlich der getadelten Leidenschaft und Neigung bei Künstlern aus verschiedenen Nationen bedeutend voraufgegangen, im Gegensatze des strengen Ernstes, ja der fast ängstlichen Sorgfalt, wodurch Mengs in Nachbildung antiker Formen, wie nicht minder durch seine Schriften in Vereinigung mit den Winkelmannischen, „höhere, wo nicht Begriffe, doch Ahnungen der Kunst und des Geistes derselben erregt habe." Es sei „von unserm (Wilhelm) Tischbein, wofern man nicht sehr irre, zuallererst größere Wertschätzung der ältern, vor Rafael's Zeit blühenden Mahler ausgegangen." In Deutschland um 1790 habe man „angefangen, sich mit dem Unannehmlichen der alten Meister, Schön's, Altdorfer's, allmählich auszusöhnen. Dürer'n wurden seine Härten verziehen, Holbein's Ansehen stieg ungefähr in ähnlichem Verhältnis, auch Lukas Cranach erwarb Gönner und Freunde." Um diese Zeit habe der MahlerBury die Werke des Bellini und des Mantegna in Venedig, des Fiesole in Florenz aufgesucht und belobt, und „dieses bloß zufällige Ereignis hat nach unserm Dafürhalten vielen Einfluß auf den Gang des Geschmacks gehabt." Die Werke des Fiesole und Masaccio seien nun als musterhaft studiert, und für neue Werke die Gegenstände schon häufiger aus der Bibel gewählt worden. Sehr bald kommen nun die Verfasser auf die, 1797 erschienenen „Herzensergießungen des Klosterbruders (von Vielen anfangs Goethe'n zugeschrieben)," welche den größten Eindruck in Deutschland und Rom gemacht: „Kritik wird (darin) als eine Gottlosigkeit angesehen, und die Regeln als leere Tändelei; Kunst lerne sich nicht und werde nicht gelehrt, der Verfasser hält die Wirkung derselben auf die Religion, der Religion auf sie, für völlig entschieden, und verlangt daher vom Künstler andächtige Begeisterung und religiöse Gefühle, als wären sie unerläßliche Bedingungen des Kunstvermögens." Verhältnißmäßig in gleicher Weise werden die in den beiden folgenden Jahren von Tieck herausgegebenen Schriften: „Sternbald's Wanderungen" und „Phantasien über die Kunst" charakterisiert, und es wird sodann in allgemeineren Zügen dargestellt, wie durch alles dieses „der Anstoß gegeben, der Hang zum Altertümlichen wach geworden, der nunmehr unter patriotisch-nationaler Form hervortrat." „Im Jahr 1803 trat Friedrich Schlegel in der Zeitschrift Europa zuerst als schriftlicher Lehrer des neuen altertümlichen, katholisch-christelnden Kunstgeschmacks auf, streitend gegen die bisher gehegten Meinungen über echte Kunst und die Art, sie zu fördern. Religion, Mystik, Christliche Gegenstände, oder, wie es heißt, Sinnbilder, werden für Malerei und deren künftiges Gedeihen als unerläßliche Erfordernisse ausgegeben. Der älteren Schule, das will sagen Meistern und Werken aus der Zeit vor Rafael, wird über alle späteren der Vorzug eingeräumt; Tizian, Correggio, Julio Romano, del Sarto u. s. w. die letzten Mahler genannt. Mystisch-allegorischen Beziehungen legt Herr Schlegel große Wichtigkeit bey, glaubt dergleichen in Correggio's berühmtesten Werken entdeckt zu haben, und ist geneigt, solche bei Auseinandersetzung des Kunst Charakters dieses großen Meisters, nächst der musikalischen Eigenschaft desselben, für das ihn am meisten auszeichnende Verdienst zu achten. Die alte Deutsche Kunst erhält überschwängliche Lobsprüche, so daß kühlere Kunstrichter nicht wohl einstimmen könnten, wie aufrichtig vaterländisch auch sonst ihre Gesinnungen seyn möchten. —

Diese Europa hat nun, seit sie erschienen bis jetzt, ein gewissermaßen gesetz gebendes Ansehen bei den Teilnehmern des von ihr begünstigten Kunstgeschmacks behauptet, und es ist kein Wunder: denn unstreitig ist in dem, was Herr Schlegel vorträgt, verglichen mit andern, die selbe Sache bezielenden Schriften, noch am meisten Bestimmtes, Klares und vornehmlich Folgerechtes anzutreffen." - -

Sicher ist es nun wohl, daß Schlegel, indem er (allerdings nach dem Vorgange Wackenroder’s und Tieck's) die Nachbildung der ältesten Gemälde und die Aneignung ihres Stils, bei gänzlicher Abstraktion von den Vor« teilen, welche die noch ältere wie die neuere Zeit in der Formenvollendung gebracht, mit demselben, ja fast mit noch größerem Nachdruck und Eifer, als das tiefere Insichaufnehmen einer neuen Kunstseele forderte, und beides als durch ein und dasselbe Bedürfnis hervorgerufen annahm, den Weimarschen Kunstfreunden allerdings Anlaß gab, dieses als nicht getrennt in dem neuen Kunstbestreben anzusehen. S. sagt in der ersteren Beziehung S.144: „Sicherer bliebe es, ganz und gar den alten Malern zu folgen, besonders den ältesten, und das einzig Rechte und Naive so lange treulich nachzubilden, bis es dem Auge und Geiste zur andern Natur geworden wäre. Wählte man dabei besonders mehr den Stil der Altdeutschen Schule zum Vorbilde, so würde beides gewissermaßen vereinigt seyn, der sichre Weg der alten Wahrheit und das Hieroglyphische, worauf, als auf das Wesen der Kunst, selbst da, wo die Kenntnis derselben verloren war, wahre Poesie und Mystik zuerst wieder führen muß, und selbst unabhängig von aller Anschauung, als auf die bloße erste Idee der Kunst und Malerei führen kann." Mit dem, in dem letzten Teile dieser Stelle ausgesprochenen Gedanken hatte er ohne Zweifel Hervorbringungen wie die unseres Runge bezeichnen wollen und gewissermaßen kündigt er sie an als „Hieroglyphen, wahrhafte Sinnbilder, aber mehr aus Naturgefühlen und Naturansichten oder Ahnungen willkürlich zusammengesetzt, als sich anschließend an die Weise der Vorwelt." Und eben diese letzteren Worte hatten gewiß am meisten einen Anstoß bei Goethe, in dem Gefühl des „gewissermaßen gesetzgebenden Ansehens," welches die energische Denkkraft Schlegels sich zu schaffen wisse, erregt.

Unmittelbar hierauf und als mit den Schlegelschen Lehren innig verwandt folgt von den Tageszeiten unseres Runge in dem Weimarischen Aufsatze (S. 35 ff. so wie S. 46) die Darstellung, welche wir unter „Kritiken" aufnehmen, und in welcher sich die Verfasser einiges Beifalles keineswegs erwehren können. Sie gehörten indessen nur in diese Reihe, außer ihrem Christlichen Elemente, durch die schöpferische Kraft, die sich in dem Symbolischen und Allegorischen kundgibt; und die nachfolgenden Künstler würden ohne ein Analoges in ihren Erfindungen wohl gewiß nicht die Benennung einer Schule sich erworben haben. Welche ihnen zwar die Weimaraner auch nicht zukommen ließen und auf welche die bloße Nachstrebung in Stil und Formen der älteren Mahlerschule noch keinen Anspruch geben kann. Zwar sollen wir zum Kindessinn wieder umkehren; allein dieses wird nicht dadurch erreicht, daß wir die unschuldige naturfromme Gebährde des Kindes annehmen, die Unbehilflichkeit seiner Tritte, mit Verschließung der Augen vor jeder anerkannt freieren Bewegung nachmachen, und uns nur die Eigentümlichkeiten einer älteren Zeit, die ebensowohl, ja noch wohl entschiedener, als andre frühere Zeiten veraltet ist, aneignen, wo wir doch einen neuen Weg suchen wollen. Auf der andern Seite können die, welche aus Uranschauungen symbolisch bilden möchten, sich wohl nie genug vor ganz willkürlichen Phantasien und Erfindungen hüten, und unser Tieck hat insofern allerdings Recht, wenn er (1833 in der „Sommerreise") davor warnt, daß man nicht „aus dem Symbol und der Allegorie in die willkürliche Bezeichnung, in die Hieroglyphe falle."

In diesem Sinne rügt es der vorliegende Aufsatz an Friedrich, dessen Landschaften sonst in Weimar im Ganzen sehr großen Beifall fanden, daß auf dem Wege seiner Andeutung mystisch-religiöser Begriffe durch die Staffage, eben um der Bedeutung willen, „wie auch gedachtem Runge in seiner Art begegnet ist," manches Ungewöhnliche, ja das Unschöne selbst gefordert werde.— Es wird dann „die bisher betrachtete Geschmacksrichtung weiter verfolgt von 1806 oder 1808 an, wahrnehmend, wie sich durch ganz Deutschland die Vorliebe für alles Altnationale erhielt, erweiterte, ja während der Epoche feindlichen Drucks und Kränkungen nur desto höher stieg." Als „Häuptlinge unter den Bekennern des neu-alterthümlichen Geschmacks" werden bald Cornelius und Overbeck genannt und es widerfährt ihnen in andrer Hinsicht alle Gerechtigkeit; es wird überhaupt das redliche Bestreben, Ernst, Fleiß und Ausdauer lobend anerkannt, womit mehrere der, das Christlich-mystische, oder auch das vaterländische bezielenden Künstler ihrem Zweck großmütig nachgerungen." — Doch, „wie man es auch anstellen mag, ein freiwilliges, vorsätzliches Verzichtleisten auf alle Vorteile der ausgebildeten Kunst läßt sich nicht verteidigen, noch weniger gutheißen; selbst mit den künstlichsten Wendungen werden die Jünger des Klosterbruders und der Europa den gesunden Sinn doch niemals überreden usw. Weiterhin wird in Beziehung auf den auch wieder in der Architektur aufgekommenen „Gothischen, oder nach der beliebten Benennung" (die aber grade von dem jugendlichen Goethe bei begeisterter Betrachtung des Straßburger Münsters zuerst eingeführt worden) „Altdeutschen Geschmack" bemerkt, daß es „artistische sowohl als technische Ursachen, ethische und mechanische gebe, warum es durchaus unmöglich sey, sich ganz in den Geist vergangener Zeiten zu versetzen, denselben ihr Eigentümliches abzuborgen." —

Sieht man sich nun aber endlich unter allen diesen ratlosen Umständen nach einer kräftigen Hilfe in dem Aufsatze um, so weiß derselbe dennoch nichts anderes als die alte Panacee, die nicht mehr helfen wollte, aufs neue anzubieten, und der Orbil, der hier das Wort führen mag, hat für die Sehnsucht mutiger Kunstschüler, den Flug zu neuen Schöpfungen zu erheben, bloß den trübseligen Notbehelf zur Hand, — wie auch immer das Bedürfnis einbrechender gewaltigen, das Gemüth erregenden Zeit drängen mag, — „daß es in Bezug auf die Kunst am sichersten und vernünftigsten ist, sich ausschließlich mit dem Studium der alten Griechischen, und was in neuerer Zeit sich an dieselbe anschloß, zu befassen."

Es wird zwar „das Einwirken religiöser Stimmung einiger älterer Meister auf ihre Werke keineswegs geleugnet; allein das fromme Gemüth ist nicht das einzige, und die Betrachtung des Olympischen Jupiter's ist der Religion höchst vorteilhaft gewesen, hat den Beschauer gleichfalls zur Frömmigkeit, aber nicht zu einer solchen, wie wir sie denken, hinaufgezogen;" und so „erscheint auch der Widerstreit zwischen alter und neuer Kunst, Christlicher und Hellenischer, keineswegs so schreiend, als er manchmal ausgesprochen wird." — Zugegeben wird ganz zuletzt noch (gleichsam von dem „erwachenden Empedokles"), „sich erhebend auf den höchsten, alles übersehenden Standpunkt, es lasse sich die betrachtete patriotische Richtung des Kunstgeschmacks wohl billig als ein Teil oder Folge der mächtigen Regung betrachten, von welcher die Gesamtheit aller zu Deutschland sich rechnenden Völker begeistert das Joch fremder Gewalt großmütig abwarf, die bekannten ewig denkwürdigen Taten verrichtete und aus Besiegten sich zu Überwindern emporschwang. Wir sind dieser Ansicht um so mehr geneigt, als sie unser Urteil gegen die Teilnehmer an besagtem Kunstgeschmack mildert, den Schein willkürlicher Irrung großenteils von ihnen abwälzt; denn sie fanden sich mit dem gewaltigen Strom herrschender Meinungen und Gesinnungen fortgezogen."

Doch sei zu hoffen, „daß jener National-Enthusiasmus, nach erreichtem großen Zweck, den leidenschaftlichen Charakter, wodurch er so stark und thatfertig geworden, wieder ablegen werde u. s. w." — „Ein gleiches gilt von der Religiosität. Die echte, wahre, die dem Deutschen so wohl ziemt, hat ihn zur schlimmsten Zeit aufrecht erhalten und mitten unter dem Druck nicht allein seine Hoffnungen, sondern auch seine Tatkräfte genährt. Möge ein so würdiger Einfluß bei fortwährendem großen Drange der Begebenheiten der Nation niemals ermangeln; dagegen aber alle falsche Frömmelei aus Poesie, Prosa und Leben baldmöglichst verschwinden und kräftigen heitern Aussichten Raum geben!" —

Am Schluss desselbigen Heftes wird nach Abdrucken der vier Runge'schen Blätter verlangt, vergessen habend, daß sie im Buch- und Kunsthandel öffentlich angezeigt und zu haben waren; und es wird dann als Nachtisch noch ein angebliches „wichtiges Resultat der Kunstgeschichte" aufgetragen: „Von Phidias bis auf Hadrian bedürfte es (das Niedersteigen der antiken Kunst) voller sechshundert Jahre, und wer besitzt nicht noch mit Ergötzen ein Kunstdenkmal aus den Zeiten dieses Kaisers! — Von dem übermenschlichen, aber auch die Menschheit gewaltsam überbietenden Michelangelo bis zu dem manieriertesten Spranger waren kaum einhundert Jahre nötig, um die Kunst von angestrengter Großheit zu überstrengter Fratzenhaftigkeit herunterzuziehen , und doch werden Liebhaber immer mit dem größten Vergnügen gelungene Arbeiten Spranger's in ihren Sammlungen aufnehmen. — Von dem kränklichen Klosterbruder hingegen und seinen Genossen, welche die seltsame Grille durchsetzten, „merkwürdige „Werke ganz neuer Art, Hieroglyphen" (hier folgen denn die schon oben angeführten Hauptworte Friedrich Schlegel's) zu verlangen, rechnen wir kaum zwanzig Jahre, und dieses Geschlecht sehen wir schon in den höchsten Unsinn verloren. Zeugnis hiervon ein zur Berliner Ausstellung eingesendetes, aber nicht aufgestelltes Gemälde nach Dante." Folgt nun die Beschreibung einer gräulichen Fratze, satyrischerweise mit Buckdruckerfileten wie mit einem Rahmen eingefaßt. — Im dritten Hefte, zum Anfange eines Aufsatzes über Deutsche Sprache, wird wieder ärgervoll der nun fast zum stehenden Schmähwort gediehene Ausdruck von „alterthümelnder christelnden Kunst" gebraucht, und gleichsam Reue darüber bezeugt, daß die Kunstfreunde nicht schon von 1797 an so schädlich einschleichendem Übel vorzubeugen bemüht gewesen, um strebende Künstler zu warnen.

Wir haben schon bemerkt, daß man in Weimar, besonders nachdem die Aussprüche Schlegel's zur Kunde gekommen, kaum umhin konnte, ein Bilden, wie das unseres Runge, mit dem bloßen Nachbilden der älteren Mahlelkunst, als aus Einer Ansicht entsprochen, durcheinander zu werfen. Jedoch wurde von der Art, wie seinen Freunden und ihm dort mitgespielt werde, schon 1803 genug kund, um ihn zu dem starken Unwillen zu reizen, welcher sich in seinen damaligen Briefen äußert, und mit welchem er in solchem Verfahren Beschränktheit, Lieblosigkeit, ja Irreligiosität wahrzunehmen glaubt. In folgenden Jahren hierüber kühler geworden, konnte er Verdienst und eine, wiewohl untergeordnete Nützlichkeit in dem dortigen Bemühen nicht mehr verkennen, wovon sein Brief an Schildener von 1805 (Th. I. S. 61.) ein schönes Zeugnis giebt. Es konnte auch wohl nicht ganz der Unterschied in den Ansichten durch den Umstand, daß Goethe älter und in manchem erfahrener, seine Gegner jünger und aufstrebend waren, übersehen werden; aber es blieb immer noch zu viel übrig, worin Runge sich mit Goethe nicht einigen konnte, und wir es noch jetzt nicht können. Das Verhältnis blieb im Wesentlichen dasselbe, außer daß in den späteren Jahren eine erfreuliche Einstimmigkeit über die Farbenlehre, durch das Bedürfnis genauerer Erforschung gegenseitig hervorgerufen, Beide einander, um sich zu unterstützen, näherte. —

Es dürfte den Lesern, die uns bisher gefolgt sind, nun auch vielleicht weniger schwer zu entscheiden fallen, ob die Widersprüche in den Äußerungen aus Weimar über den Einfluß, den Vaterlandsliebe und Religion auf die Künste üben, etwa nur scheinbar sind und sich leicht lösen lassen. Wirklich scheint Goethe einen solchen Einfluß nur da abweisen zu wollen, wo derselbe engherzig, selbstisch und despotisirend mit vaterländischen oder religiösen Formen wirken will, keineswegs aber, wo es aus innigem Gefühl und seelenerhebend geschieht, und sein Ausspruch: „daß es keine patriotische Kunst gebe," wird sehr gemäßigt, ja fast aufgehoben durch die Stellen, wonach ihm der originale Künstler kaum genug individuell, national, und in zunächst überlieferter Weise bilden zu können scheint und wo er dem Patriotismus jeder Stadt, geschweige jedes Reichs in dieser Hinsicht zu wirken und seinen Charakter aufzuprägen gestattet.— Wir fanden in der Zeitschrift Nemesis von Luden 1815 (V. Bdes 2s Stück S. 215) „die Kleinlichkeit und das Kränkeln Deutscher Kunst unsern bürgerlichen Spaltungen zugeschrieben. Einen großen Charakter kann kein Kunstwerk haben, das nicht mit einem großen volksthümlichen Sinn für ein ganzes Volk empfunden und ausgeführt ist. So lange die Deutschen groß und geehrt unter den Völkern Europa's standen, haben sie durch erhabene Werke der Kunst in eigentümlichem Geist herrlich hervorgeragt, ja sie sind fremden Völkern Muster und Beispiel geworden. In den neueren Zeiten ist unser Volkstum zerschlagen worden in ein mannigfaltiges Fürstenwesen, aber auch unter diesen Umständen hat der Deutsche Geist herrlich gekämpft; an Ideen und Fertigkeit hat es nicht gefehlt, nur an Reichtum und sinnlicher Fülle, und hieran muß es fehlen, so lange die Deutschen bürgerlich getrennt sind wie bisher. Die Versuche, die man gemacht hat, Luther'n ein Denkmal zu errichten, und die Rettungsschlacht bei Leipzig zu verherrlichen, werden der Nachwelt beweisen, wie ein großes und wohlgesinntes Volk sich vor sich selbst und vor Fremden auch in dieser Rücksicht bloßstellen kann, wenn es nicht bürgerlich eins ist."

Und in einer andern damaligen Zeitschrift, dem Niederelbischen Mercur (XVI. S. 284 ff.) wurde dieses dahin erweitert oder variiert, „daß wir alle zwar, und unsre Kunst mit uns, sehr lange eigentlich kein Vaterland hatten, das uns für Herz und Geist als Symbol der Menschheit erscheinen und gelten durfte. Da wir aber, dem Charakter der Menschheit nach, überhaupt nur im symbolischen Genusse leben, weben und sind, und „der Dichtung Schleyer aus der Hand der Wahrheit" weit die schönste Gabe der Gottheit an den Sterblichen, welchen sie am höchsten beglücken will, ist und bleibt, so wird die Kunst, ohne eine recht eigne und vertrauliche Heimat ihrer selbst und des Künstlers, und ohne die in ihren Werken erkennbare und innigst in dieselben verwebten Kennzeichen solcher vertraut lieben Heimat, eigentlich nicht zu denken , ja im wesentlichen Verstande immer vaterländisch seyn müssen. — Es gehört dem Vaterlande alles ohne einige Ausnahme an, selbst die sonst alles in Zeit und Ewigkeit in sich beschließende Religion, in wiefern es nämlich dem ewigen Geiste gefallen hat und wohl immerdar gefallen wird, ihr unergründliches Geheimnis durch Formen, die sich in der Zeit entwickeln, unsern endlichen Kräften zugänglich zu machen." — Hoffen wir getrost, es werde von solchen Gefühlen seit der großen Rettungszeit Deutschlands, trotz auch allem, was nun wieder zu neuen Spaltungen aufgähren möchte, noch immer genug übrig geblieben seyn, daß auch fortan hie und da, sei es in oder außer der Heimat, sich noch einer oder der andre Brennpunkt für absolut und allgemein Deutsche Gesinnung in der Kunst finde, wo man am 18. Oktober fortwährend wie Rückert 1817 in Rom von Herzen singen möge:

Wessen Hand ein Werkzeug rühret.

Das ihm Kunst zum Eigenthum

Gab: wie er es treulich führet.

Führ' er's fort mit Glück und Ruhm.

Heute wollen Deutsch wir zechen,

Morgen mahlen, dichten, bau'n.

Daß einmal die Welt soll sprechen:

Aecht Deutsch sei es anzuschau'n.

Finden wir nun gleich auf der andern Seite von Goethe auch das Verdienst der Frömmigkeit und Religion, insonderheit des Christentums, um die Kunst, hie und da sehr hoch gestellt, wovon wir hier nur eben noch seine Behauptungen, daß im s.g. Mittelalter „ohne die Christliche Religion die bildenden Künste wahrscheinlich nie wieder entstanden wären," daß sie mit dem Schwächerwerden ihres Antriebes auch sofort gesunken seien, und daß für eben diese Künste „in ihrem Geschichtlichen ein so vielfacher, ja unendlicher Same als in keiner andern gelegen," wieder anführen wollen; so scheinen uns doch dadurch solche apodiktische Aussprüche, als: 1) „Die Religion bedarf keines Kunstsinnes, sie ruht auf ihrem eignen Ernst," und 2) ,,Sie Verleiht aber auch keinen, so wenig sie Geschmack giebt," weniger als wieder gut gemacht. Was das erstere betrifft, so glauben wir mit dem Apostel, daß „der Glaube aus der Predigt kommt," aber auch, daß das Predigen nicht mit Worten allein, sondern auch mit Tönen und Farben, so wie mit allen Gottesgaben geschieht; worüber es an Beispielen nicht fehlen wird, ich aber bloß wieder des unsrer schon einmal erwähnten edlen Freundin von ihrer ersten Erweckung durch unsern Künstler gedenken will. Erzählen die Himmel die Ehre Gottes und die Feste verkündigt seiner Hände Werk, ein Tag sagt's dem andern und eine Nacht thut's kund der andern, so muß es auch die Kunst, wofern sie himmlischer Gesinnung ist, thun. Und sei sie dann immerhin auch nur eine Magd im Hause des Herrn: in diesem Hause empfangen Knechte und Mägde, so sie treu erfunden werden, die Kindschaft, in welcher die höchste Freiheit besteht, und es wird über sie der Geist ausgegossen, daß sie weissagen. — Wo geistige Wirkung ist, da kann, der Natur alles Lebendigen nach, auch Wechselwirkung nicht ausbleiben. (M. vgl. Phil. IV. 8.) Daß die Religion keinen Kunstsinn verleihe, wird man doch nicht spitzfindig unterschieden wissen wollen von dem, was zugegeben wird, daß sie ihn wecke, beseele und veredle? Der echten Kunst ist kein Stoff und Gegenstand zu hoch, sie strebt ihrer Natur nach zum Höchsten, um im höchsten Sinne zu wirken, es giebt aber nichts Höheres als die Religion und namentlich das Christentum; ist doch „in keinem andern Heil, auch kein Name den Menschen gegeben, in dem sie könnten selig werden, als allein in dem Namen Jesu Christi."

Es mag seyn, daß in der Regel Goethe's Geschmack nicht eben der Christliche gewesen. Runge war ihm wohl so weit entgegengekommen, daß er eben nicht als unumstößlich aufstellen wollen, es solle Alles just so in Allegorien, Arabesken dargestellt werden; m.s. seinem langen Brief über die Farbenlehre an Goethe (Th. I. S. 88.) in der Einleitung. Aber das blieb doch seine Meinung, daß es alles irgendwie in dem frommen Sinne geschehen müsse, den „unbekannten Gott, in dem wir leben, weben und sind, als denn auch etliche Poeten gesagt haben, daß wir seines Geschlechtes sind, “ ihn, den die Weisheit des Zeitalters verdeckt hatte und der unter ihr selbst verborgen und begraben lag, „dem sie unwissend Gottesdienst that," durch die Kunst, so weit diese dahin reichen konnte, der Welt wieder zu enthüllen, „ob sie ihn fühlen und finden möchte." —

„Die Hellenische Kunst," berichten die Kunstfreunde, „begann vom Allgemeinen und verlor sich ganz spät in's Besondre." Vermutlich doch war jenes Allgemeine, von einer Seite angesehen, ein Mystisches, Symbolisches, das sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zu bestimmten Gestalten ausprägte und rundete; doch aber in dem Bilde des Vaters der Götter von Phidias die Betrachtenden noch zur Frömmigkeit anleuchtete. Beseelt auch von diesem Geiste der Frömmigkeit, aber in höherem Chor, als zu dem jener, einem blinden Fatum unterworfene Gott zu wecken vermochte, denn

— was ist Pindar gegen dich, Bethlem's Sohn,

Des Dagoniten Sieger, und Hirtenknab',

O Isalsaide, Sänger Gottes,

Der den Unendlichen singen konnte! (Klopstock.)

lasset uns denn Alle ferner (mit den Kreuzzügen des Philologen von Hamann) zu der Hauptsumme der Ästhetik zusammenstimmen, welche die letze bleiben wird, wie sie die älteste war: „Fürchtet Gott und gebet Ihm die Ehre, denn die Zeit Seines Gerichts ist kommen; und betet an Den, der gemacht hat Himmel und Erden, und Meer, und die Wasserdrunnen." (Apok. XIV. 7.)

Ich werde nun die übrigen Lebensvorgänge vom Jahr 1803 in der Kürze nachtragen. Runge reiste gegen das Ende des Februars als Begleiter von Maria Alberti zu deren Schwager, Tieck, ab, welcher damals sich bei Herrn v. Burgsdorf auf Ziebingen in Schlesien aufhielt; und die Absicht eines fruchtbaren Gedankenwechsels mit seinem Freunde wurde erreicht, ungeachtet der Störungen, die des Künstlers schlimme Halskrankheit aus Erkältung hineinbrachte. Er war am 22. März wieder in Dresden , wo nun noch einige Wochen voll Ungeduld und Spannung verflossen, bis er am 13. April das Ziel seiner Herzenswünsche in seiner Verlobung erreichte. So sehr dieser ersehnte Ausgang sein Inneres befriedigte, soviel Hinderliches brachte dagegen natürlich auch wieder der damit verbundene Eintritt neuer Familienverhältnisse für den, von ihm so sehnlich verlangten Fortschritt in seinen Arbeiten herbei. Um den Anfang des Mai's ging er mit Braut und ihrer Mutter nach Leipzig, wo der Vater zur Messe war, und sie unsern Besser mit seiner Neuvermählten und Wülffing aus Hamburg sahen. Große Verluste bedrohten bald darauf Hamburg und selbst unser Handlungshaus durch die Einnahme der Hannoverschen Lande von Seite der Franzosen, und die Besorgnis, daß sie selbst unsre Stadt besetzen möchten. Runge hatte so sanguinische Erwartungen von künftigem Kunsterwerb, daß er es für denkbar hielt, mir einst meine Einbuße dadurch ersetzen zu können. —

Am 7. August reiste er mit seiner Schwiegermutter und Braut von Dresden ab, um sie seine Eltern, Geschwister und Heimat in Pommern und Mecklenburg kennen zu lehren. Sie trafen am 16. in Wolgast ein. Unter den Ausflügen, die sie von hier aus machten, war einer nach der Oye, einer von Ackerbauern bewohnten kleinen Insel der Ostsee, und ein andrer nach dem an demselben Meere liegenden Streckelberg auf der großen, teils von der See, und teils von der Peene und der Swine umflossenen Insel Usedom. Die genannte Höhe, deren weißes Haupt man fern im Lande umher wahrnimmt, besteht aus nach und nach aufgewehtem Seesande. Durch eine Schlucht derselben, deren Seiten jeden andern Gegenstand auf dem Lande verdeckten, zum Strande hinabsteigend bei ganz unbewölkter klaren Luft hatten sie das merkwürdige Phänomen, in der ganzen Natur nur zwei Farben, weiß und blau, zu sehen, da vor ihnen die Spiegelfläche der See dem Blick mit der blauen Luft zusammenlief #). —

#) In Erinnerung der Erzählung des Freundes hiervon schrieb Perthes im Juli 1813, von Hamburg geflüchtet, aus Heiligenhafen: „Hier ist ein von keiner Hecke und keinem einzigen Baum unterbrochenes Grün der Saaten, begrenzt durch das tiefste Blau des unermeßbaren Meeres, das immer heller wird, so daß die Linie nach oben sich mit dem Lichte der Luft beinahe vermischt. Daß mein seliger Otto dieses Wunderbare mit mir sehen könnte"

Die Reisenden kamen am 16. September nach Dresden zurück. Tieck war nach Giebichenstein zur Hockzeit seiner Nichte mit seinem Freunde Steffens abgereist. Runge beschleunigte, soviel es nur die Umstände gestatteten, die Vollendung seiner „Tageszeiten'' in der Zeichnung, um für den Winter nach Hamburg abzugehen, dort ungestörter arbeiten zu können, und im Frühjahr zu seiner Trauung wieder einzutreffen. Seine Abreise fand am 9. November statt. —

Im März hatte ich ihm den Tod und die Bestattung des ehrwürdigen Klopstock's gemeldet; der Leichenzug durch Hamburg und Altona nach Ottensen war ununterbrochen durch eine wahrhaft unübersehbare Menschenmenge, voll einer Verehrung mit und ohne Begriff von dem Gegenstande derselben gegangen. — Im Juni war die Nachricht von dem frühen Hinscheiden des so hoffnungsvoll aufgeblühten Malers Gareis in Rom bei uns eingetroffen. —

Als Runge Dresden verließ, war sein Freund Cramer nach einiger Abwesenheit in der Heimat dort wieder als Stubengenosse bei Böhndel angekommen. Unter den jungen Freunden, welche Runge in Dresden, außer den schon von uns genannten, erworben hatte und zurückließ, nennen wir hier noch: Titel (ein Landsmann und Mahler), Ruscheweih, Näcke, C. Rauch (welcher ihm bezeugte: „Allein war ich hier unter den schönsten Gebilden der Zeit; ich nahte mich dir, Freund, und fühlte und genoß!") und endlich Klinkowström, der von Allen, wie die Folge zeigen wird, seinem Herzen und Geiste am nächsten trat#).

#) Friedrich August v. Klinkowström, etwa um ein Jahr älter als Runge, war ein Sohn des Oberstlieutenants v. K., Besitzers des herrlichen Landgutes Ludwigsburg an der Ostsee im Schwedischen Pommern. In früheren Jahren widmete er sich dem Militair und hat als Preußischer Leutnant in Danzig garnisonirt. Ein bedeutender Hang zur Malerei, der sich bei ihm kundgab, bewog den Vater, — welcher doch nie dazu gelangte, sich einen angemessenen Begriff von dem Werte dieser Kunst zu machen, — ihn nach seinem Wunsche dafür zu bestimmen, und so kam er, nachdem er sich unter Quistorp in Greifswald die ersten Vorkenntnisse und Handgriffe erworben, 1802 nach Dresden, wo er sich bald mit dem Herzen und Geiste aufs innigste unserm Runge anschloß, auch mit einer überaus tätigen Phantasie in dessen Idee der Darstellungen durch Symbole und Allegorien auf eine fast maßlose Weise einging. Höchst störend für seine Fortschritte wirkte jedoch unablässig die bedrängte Vermögenslage seiner Eltern, welche die Zeitumstände für sie und ihre zahlreiche Familie gewaltsam herbeiführten, dieihn zu öfterer Rückkehr auf längere Zeit nach seinem Heimatorte nötigten, und den Vater mehrmals in die Versuchung führten, ihn zu einer andern, der militairischen oder diplomatischen Laufbahn zu bestimmen. Jedoch blieb es noch bei der künstlerischen, und Kl. kam in den letzten Monaten des I. 1804 nach Hamburg auf die seinem herzlichsten Wunsch entgegengekommene Einladung unseres Runge, mit welchem er hier so gut als Hausgenosse wurde, und mit dem er im wechselseitigen Bemühen in die Tiefen der Kunst einzudringen versuchte. Doch war es Kl. damals wenigstens nicht gegeben, die etwas zu launenhaften Kunstgebilde, die in ihm aufgingen, einer weisen Zügelung zu unterwerfen, was auch durch einen seiner LeibesKonstitution? inwohnenden Hypochonder oft gehindert wurde, so gesund auch noch immer ein lieblicher Humor im Umgang aus ihm heraustrat. Er hatte das richtige Gefühl, daß ihm wohl eine fruchtbare und würdige Regel für seine Leistungen nur aus einer möglichst weiten Übersicht in lebendiger Anschauung und im Studium der höchsten und edelsten Kunstwerke hervorgehen könne. So ging er im Herbst 1805 wieder nach Dresden, wo er dieser Forschung mit dem höchsten Eifer oblag und vornehmlich die, vielleicht in ihrer Art einzige treffliche Kopie der Nacht von Correggio fertigte, die man jetzt als Altarbild in der St. Marienkirche zu Greifswald, 1 Meile von seinem Geburtsorte, sieht. Nach Ludwigsburg zurückzukehren zwangen ihn die Umstände zur Zeit der unglücklichen Schlacht bei Jena am 14. Oktober 1306, und dort im Vaterlande kam er wieder mit Runge zusammen, der bis um die Hälfte von 1807 in Wolgast verweilte. Kl. blieb zu Hause, mehr wohl mit den Sorgen für das väterliche Haus, als mit seiner Kunst beschäftigt, und kam erst im Spätjahr 1808 wieder nach Hamburg auf der Durchreise nach Paris zu den damals dort aufgehäuften großen Kunstschätzen. Hier, so wie hernach auch in Rom, soll er, teils in Kopien, teils aus eigner Erfindung schöne Werke zu Stande gebracht haben. Die Auszüge, welche ich aus seinen Briefen gegeben, verlassen ihn in Rom am 3. May 1311, wo er die ihn auf's tiefste betrübende Nachricht von dem Tode unseres Runge erhalten hatte, und sich nun nach Wien begeben wollte, in Hoffnung (begründet auf seine, in Paris gemachte Bekanntschaft mit dem Grafen von Metternich und dessen Umgebungen) auf eine Anstellung bei der Kunstakademie. Von Wien schrieb er mir am 30. Oktober 1811, er habe für den Prinzen Wilhelm von Preußen eine lebensgroße Kopie des Bildnisses von Karl V., und eine kleinere Figur von Rudolf von Habsburg zu mahlen bekommen; dazu Unterrichtsstunden zu geben. Es freute ihn sehr, daß ich seine Kopie nach Correggio (auf welche ich ihm Vorschuß geleistet) so zweckmäßig hatte verkaufen können. Sein letzter Brief an mich ist aus Altenburg vom 30. Oktober 1813, also fünf Tage nach der großen Völkerschlacht. Er stattet mir darin Bericht von feinen weiteren Lebensereigniffen bis dahin ab. Im August 1811 war er nach Wien gekommen. (Aus andern Quellen ist bekannt, daß er, früher sehr eifriger Lutheraner, den Römisch-Katholischen Glauben angenommen hatte.) Im Herbste von 1812 wurde ihm dort eine Professur des Kunstunterrichts an einem Erziehungshause für den höheren Adel in Österreich übertragen, welches der bekannte Staatsschriftsteller Adam Müller errichtete, wovon der Sinn angegeben wird als „das Christentum in seiner alles vereinigenden und durchdringenden Kraft und Schönheit;" Protektor der Erzherzog Maximilian, welcher unsern Kl. durch einen Vorschuß zu seiner Einrichtung in Stand fetzte, am 26. November sich zu verehelichen, mit einem Fräulein v. Mengershausen, mit welchem er 1809 in Paris sich verlobt hatte, Schwägerin des Hofsekretairs Hrn. Pilat. Umstände verhinderten jedoch die endliche Errichtung des Instituts, und als 1813 Österreichs Beitritt zum Kriege gegen Frankreich erfolgte, wurden dort wie anderwärts alle Talente zur Mitwirkung in diesem in Anspruch gefaßt; es wurde im verbündeten Hauptquartier zu Töplitz Bedacht auf eine künftige Anstellung unseres Kl. im Preußischen genommen, wenn er den Feldzug, geschähe es auch nur bei einem Bureau, mitmachen würde. Nächst der Sorge für Gattin und Kind bestimmte ihn dieses anzunehmen „der hohe Glaube, daß es jetzt auf dieselbe Gesinnung allgemein ankomme, und die Hoffnung, diese dereinst so auf die Kunst befördernd anzuwenden, als er sich bisher selbsttätig in derselben bewiesen." Eben an jenem 23. Oktober erhielt er die Nachricht von seiner vorläufigen Anstellung bei dem Freiherrn v. Stein. — Nur im Allgemeinen kann ich von seiner nachherigen Laufbahn im Leben sagen, daß er längere Jahre Vorsteher eines Erziehungsinstituts in Wien gewesen, und dort, öffentlichen Nachrichten zufolge, am 4. April 1835 „am schleichenden Fieber als Folge von Unterleibs-Destructionen" verstorben ist. Er hinterließ fünf Kinder. — Mir gewährt es hohe Freude, in dieser Sammlung durch Auszüge aus seinen Briefen doch einiges zum Denkmal des teuren Freundes und wertvollen Künstlers beitragen, und damit zugleich auf den vermutlichen Inhalt der Briefe meines Bruders an ihn vor dem Jahre 1809 hinwinken zu können, die er mir so sehr gerne mitgeteilt hatte, und die leider verloren gegangen.

Runge ging zunächst über Leipzig nach Weimar ab, wo er sogleich, fast zufällig und ohne daß er sich dessen versehen, mit Goethe zusammen kam, und sie, insonderheit auf der Kunstausstellung, ausführliche Gespräche mit einander hatten. Wie der Mann von dem Jünglinge, fühlte sich dieser von dem ersteren ungemein angezogen, und konnte die Hoffnung zu künftigen gegenseitig verständigenden Mitteilungen mit von hier nehmen. Über Schulpforte, wo er zwei Söhne von Claudius, die dort damals des Unterrichts genossen, aufsuchte, ging er weiter nach Quedlinburg zu dem geliebten Vaterhause unseres Besser's, wo nächst dem würdigen und gemütlichen Vater (Geistlichen) dessen Tochter Sophia und der Sohn Friedrich sein Herz gewannen; nächstdem nach Braunschweig, nachdem er die Gemäldegalerie in Salzdahlen gesehen, und kam am 29. November in Hamburg an, bei mir einkehrend, wo er aber unser Haus in einem Geschäftsgewühl antraf, gegen welches alles frühere fast eine Ruhe genannt werden mochte.

Wir hatten nämlich seit der Mitte des Jahres den auf dem graden Wege durch die Sperrung der Elbe gehemmten Verkehr für uns durch einen Speditionsbetrieb über Tönning für Hamburg und das innere Deutschland ersetzt, und wenn nun gleich unserm Künstler überflüssiger Platz für seine Arbeiten im Hause eingeräumt war, so machte doch die aus jener Ursache entspringende Unruhe in demselben, welche, wie die Tage, so auch fast die Nächte ausfüllte, nebst der Zeiteintheilung des Hamburgischen Lebens, die nicht unbequemer für sein Thun hätte seyn können (wozu noch das Ausbleiben der ersten Abdrücke der Radierung aus Dresden kam), daß er zu dem sich so ernstlich vorgesetzten Ausführen der Tageszeiten als Gemählde den Winter über kaum die unbedeutendsten ersten Schritte thun, selbst auch zu Gesprächen mit mir nur in sehr einzelnen abgerissenen Stunden kommen konnte. Ihm blieb außerdem nur noch übrig, in Familien- und Gesellschaftskreisen Hamburgs und Altona's, in welchen er mit stets steigendem Interesse gesehen wurde, seinen Ideen soviel möglich Eingang zu bereiten zu suchen, und nebenher sich für seine künftige häusliche Einrichtung zu beschäftigen, für welche er eine Wohnung in der Schiffergesellschaft, nicht ferne von der damals im Entstehen begriffenen Börsenhalle mietete.

Seine Weihnachtsgeschenke für besonders liebe Freunde machte er zum Teil mit Anweisungen auf seine künftig erscheinenden Radierungen ab. Es traf sich unglücklich für ihn, daß unser Herterich jetzt grade auf mehrere Jahre nach Paris und Kassel abging. Das Verhältnis übrigens, in welches Runge hier zu den andern Pflegern und Kennern der Kunst getreten war, finden wir noch in einem Briefe von ihm an Böhndel nach Dresden wie folgt angegeben: „Unter meinen Freunden haben meine Zeichnungen, ich meyne die Skizzen dazu, einen großen Effekt gemacht; sonst ist hier alle Beschäftigung und das Interesse im Ganzen etwas zu sehr im großen Stil und man wird sehr zur Demut geführt, welches mir persönlich sehr gut ist, der Sache aber auch, ist sie einmal wahr, keinen Schaden bringt." " In der schon geschilderten halben Untätigkeit, welche die vielen dunkeln Tage dieses Winters noch vermehrten, auch unter stets genährter Betrübnis über meine plagenvolle Lage, häuften sich, ohne Mittel, ihnen zu genügen, die Ideen in seinem Geiste, und es wuchsen der Arbeit, die ihm bevorstehe, in seiner Vorstellung „die Köpfe, wie jene der Hydra," wie er sich darüber ausdrückte. Mit der Sehnsucht, dielen Zustand beendigt zu sehen, stellten sich sehr früh in den ersten Monaten von 1804 Vorgefühle des Frühlings bei ihm ein, und das Verlangen, bald wieder zu seiner Braut zu kommen, wurde ihm je länger je mehr kaum noch zu ertragen.

Er reiste endlich am 7. März nach Güstrow ab, wo unser Bruder Karl auf ihn wartete, der ihm einen Besuch bei dem alten Erblandmarsckall Grafen v. Hahn vorbereitet hatte, auf welchen beide Brüder eine Hoffnung für unsern Otto gründeten, Aufträge zur Zimmerverzierung bei einem neuen Bau auf einem Gute des Grafen zu erhalten. Von dort gelangte er am 15. nach Wolgast, wo unsre Eltern überredet wurden, trotz der höchst unfreundlichen Witterung, unsrer ältesten Schwester und dem jüngsten Bruder das Mitreisen nach Dresden zur Hochzeit zu gestatten. Hier kamen sie über Berlin am 24. an, und die Hochzeit unseres Runge mit Paulinen fand dort am 3. April statt. Bald nach derselben stellte sich die Begierde nach dem Wiederanfang seiner Arbeiten mit drängender Gewalt bei ihm ein, jedoch ließen die Umstände nicht zu, daß er mit seiner Gattin und Geschwistern (auch Klinkowström, der zugleich einmal wieder die Heimat besuchte) vor dem 18. Dresden, so wie eher als am 25. Berlin verlassen konnte. In der letzteren Stadt hatte er die Freude, nach so langer Entbehrung Tieck einmal wieder zu sehen. Er schrieb mir hierüber: „Ich kann wohl sagen , daß ich noch nie so sehr mit ihm übereingestimmt habe, wie diesesmal, und dennoch habe ich jetzt eine Ahnung davon bekommen, worin wir eigentlich wesentlich verschieden sind. Ebenso ist es mir mit Klinkowström ergangen." — Runge begleitete seine Geschwister noch wieder nach der Vaterstadt, reiste von da am 9. Mai mit seiner Pauline ab, und traf mit ihr schon am 13. in Hamburg ein.

Der Sommer war entzückend schön, und Runge genoß mit seiner jungen Frau der herrlichen Umgebungen Hamburgs, wo auch die edlen Familien, welche er im Winter näher kennen gelernt, ihn mit Freuden wieder aufnahmen. Er eilte nun, zu der so herzlich ersehnten Arbeit zu schreiten. Zwar zerschlug sich die Aussicht, einen Auftrag zum Mahlen in Mecklenburg zu bekommen (wofür er ohne Zweifel seine Tageszeiten in Gedanken schon bestimmt hatte). Er behielt im ersten Augenblick noch die Zuversicht, daß es ihm an einem, wenn auch nicht so ganz zusagenden, in Hamburg nicht leicht würde fehlen können: doch mußte er sich sehr bald überzeugen, daß der Zeitpunct dort grade am wenigsten geeignet war, so etwas, auf dessen Ausführung hätte gewartet werden müssen, zu bestellen, wenn auch Bilder, die fertig aus der Fremde kamen, noch immer gekauft wurden. Nicht aber solche Erfahrung, sondern eine Abgespanntheit und innere Leere, die er empfand, als er nun die früher in ihm aufgegangenen Gestalten zu tätiger Ausbildung wieder in sich aufnehmen wollte, erschreckte und betrübte ihn tief. Er hatte sich vor vielen Monaten grade zur Zeit des lebendigsten Aufsprossens und Wachsens jener Gebilde in seiner Phantasie von ihnen abwenden müssen, die Begründung seines häuslichen Glückes und Verhältnisses hatte ihn alle die Zeit über beschäftigt, er befand sich nun in einer völlig veränderten und sich allmählig einrichtenden äußern Lage, fühlte sich in der Entwicklung seiner Geistesgeburten nicht organisch fortgegangen und sie traten ihm fremd und ferne vor die Augen, wenn er den Blick auf sie wandte. Zu mahlen war natürlich die erste Aufgabe für ihn; man wird sich erinnern, daß die „Lehrstunde der Nachtigall" seine eigentlich erste Unternehmung darin in Farben gewesen, und daß sie zufällig unterbrochen worden. Nur diese, die in Dresden schon so weit gediehen, wollte er vorerst wieder aufnehmen, fand aber in sich eine größere technische Unfertigkeit, als ihn die erste Begeisterung früher hatte wahrnehmen lassen.

Eifrig sah er sich nach gutem Rat um, den auch unter Andern Wilhelm Tischbein sehr bereitwillig gab; Hofrath Eich aus Düsseldorf aber, welchen er in Altona fand, unendlich zusagender für das nächste Bedürfnis unsers Künstlers und auf die unschätzbarste Weise ihm zu erteilen vermochte. Die großen Kenntnisse der Vorteile in der Behandlung, welche dieser sinnige Mann sich erworben, wußte vielleicht unser Runge bald besser als er selbst in seinen Produktionen anzuwenden, wurde dadurch aber zugleich inniger als schon vorher auf die Überzeugung von einer Tiefe in den elementaren Verhältnissen der Farbentöne zu einander geleitet, deren möglichste Ergründung ihm nun zu einer Notwendigkeit wurde, vornehmlich um sie zur Ausführung seiner Tageszeiten mit der klarsten Ansicht von ihrer Wesenheit anwenden zu können.

Daher es denn sich erklärt, daß diese Ausführung so weit hinaus sich verziehen mußte, daß sie endlich durch seinen Tod unterbrochen wurde. Auf die Erforschung jener Elemente hatte natürlich die Beschaffenheit der Luft- und meteorischen Farbentöne eine sehr bedeutende Beziehung, und daher mußte denn die Beschäftigung mit den Ossianischen Gedichten, wozu er bald Veranlassung erhielt, ihm besonders wichtig werden. —

An dem Unterricht des guten Eich nahm auch Klinkowström, sobald er mit dem Schlüsse des Novembers in Hamburg angelangt war, den eifrigsten Anteil. Er hatte sich im Juni wieder nach Dresden begeben (wo er unter andern die interessante Bekanntschaft des damals noch sehr jungen Rumohr's mache, weiterhin auch nach Rom gehen wollen, mit Böhndel, Cramer und Philippson, welche dahin auch gegen Ende des Oktobers abreisten, wozu ihm aber sein von Sorgen erfüllter Vater die Einwilligung versagte und ihn nach Hause entbot. Hier gestattete er ihm aber dagegen gerne, nach Hamburg zu gehen, dem so viel nähern Ort, wo, von dem strebenden Geiste unseres Runge eingenommen, Klinkoström sich durch diesen vorerst eben so weit fördern zu können glaubte. — Beiden Freunden fiel hier in dem ersten Augenblick auch noch eine eigentümliche Beschäftigung in die Hände. Der (mit Tieck verschwägerte) Mahler Waagen war in Besitz einer sehr schätzbaren Sammlung von Italienischen, Niederländischen und Deutschen Originalgemälden gekommen, welche ihm bei einer Zeichenenschule, die er errichtete, sehr zu statten kam. Um jene Sammlung zu vervollständigen, war ihm vergönnt worden, aus der, damals im Abbruch begriffenen alten Domkirche alles, was ihm von Bildern anstehe, an sich zu nehmen. Er erkrankte mittlerweile, und so übernahmen für ihn unsre beiden Künstler das nicht wenig anziehende Geschäft.

Runge schrieb an Tieck, den er in Rom vermutete, durch seinen Freund Wahl (J. G.), einen jungen Künstler, der sich von Kopenhagen dorthin begab, in Dresden aber den Brief nach Ziebingen befördern ließ, da er erfahren, daß Tieck dort sich noch aufhalte, der auch wirklich erst im August nach Rom kam. Aus diesem Briefe (Th. I. S. 60, 258, 263) zeigt es sich, welch eine Tiefe und Bedeutung ihm in der Farbenwelt aufgegangen war, und wie er hiervon nun schon soviel und so klar erfaßt hatte, daß, wie die Formen für seine Tageszeiten in ihm fest ständen, er nun auch jene Erkenntniß auf ihre Ausführung im Gemälde anwenden zu können glaubte. Zu einer Vorübung im Fertigmachen mußten ihm jedoch erst einige andre Bilder dienen, wozu sich Bildnisse, insonderheit zu Familiengemälden komponierte, am natürlichsten anzubieten schienen. Er wollte aber nicht eben solche, die ihm zahlreich genug angemutet werden möchten, übernehmen, sondern dergleichen zunächst für seine Eltern und Angehörigen mahlen, nachdem er, wie er sich im Briefe vom 31. Mai an seinen Vater ausdrückte, „seine Gedanken bisher immerzu sehr ausschweifen, und sich von ihnen in den Grund der Dinge locken lassen."

Durch eben dieses Eindringen glaubte er jedoch auch nun schon in Stand gesetzt zu seyn, sichrer zu Werke zu gehen, und durch Übung bald zu der allerdings erforderlichen dreisten Freiheit im Arbeiten selbst zu gelangen, die ihm bei ängstlicher Gründlichkeit bisher zu sehr abgegangen. Dies war ein Gang freilich zur Erlangung der Leichtigkeit im Arbeiten, der so ziemlich das Widerspiel darbietet von dem, was Friedrich in Dresden bemerkt haben wollte, indem er unserm Runge schrieb: „Ich ärgere mich jedesmal, wenn ich auf die Galerie komme, über die Frechheit, mit der man die ausgeführtesten Bilder kopiert; die Mahler aber, die es thun, bilden sich viel ein aus ihren „leichten Pinsel," wie sie es nennen."

Welche Familienbilder Runge nun ausführte, ist im Fortgang seiner Briefe zu ersehen; inzwischen fing er im August auch an, die „Flucht nach Ägypten" zu mahlen, weil sie eine innere Verwandtschaft mit seinem Morgen, der den Anfang unter seinen Tageszeiten machen mußte, haben sollte; sie ist leider unvollendet geblieben. Seine Zeichnungen zum Ossian mußten auf den Absagebrief Stolberg's ruhen, zum großen Verdruß auch für den wackern Hardorf, der sich darauf gefreut hatte, sie verkleinert in Radierungen auszuführen. — Am 30. April wurde unserm Runge sein erster Sohn geboren #). Er hatte im Juli die Freude, seine Schwiegereltern aus Dresden zum Besuche bei sich zu sehen. Die Unsrigen feierten am 9. August in Neubrandenburg die Hochzeit unseres lieben Bruders Karl, zu welcher von uns aus Hamburg leider niemand hatte kommen können.

#) Otto Sigismund Runge. Er blieb nach dem Tode seines Vaters (1810) und der Rückkehr seiner Mutter (im Mai 1811) nach Dresden, unter meiner Obhut und der unschätzbaren Pflege und Erziehung edler, vortrefflicher Freundinnen von seinem sel. Vater und mir, in Hamburg und der Umgebung, bis er im Herbst 1819 wieder zu seiner Mutter nach Dresden kam. Hier zeigte sich in ihm, bei nicht geringer natürlichen Geschicklichkeit, eine vorwiegende Neigung zur Bildhauerkunst, für welche er denn schon 1821 bestimmt war und den Grund zu ihrer Ausübung dort unter Matthäi legte. Einsichtsvolle fanden den, sich in ihm kundgebenden Trieb bedeutend genug, um die Bedenklichkeiten der Mutter zu überwinden, welcher der sel. Vater in seinen letzten Lebenstagen als Pflicht auferlegt hatte, wenn einer seiner Söhne sich für die Kunst würde bestimmen wollen, ihm die Gewährung seines Wunsches, ehe sie einwillige, erst recht schwer zu machen. Nachdem er im Mai 1834 über Wolgast nach Hamburg gereist war, und die Entschiedenheit seiner Anlage sich bestätigt hatte, wurde ihm zu seiner Ausbildung auf Kunstakademien eine jährliche Unterstützung aus den Averhoffschen Testamentsgeldern zugestanden , außer welcher auch zu demselben Zwecke der, von seinem Vater schon dazu bestimmte Ertrag des Verkaufs der „Tageszeiten" verwendet worden. So arbeitete er nun vom Juni desselben Jahres an bis um die Mitte von 1826 mehrenteils in Berlin, unter der Anleitung von Friedr. Tieck, kam dann noch einmal nach Hamburg und ging im Spätjahr nach München ab, wo er mit jungen Malern aus Hamburg, als Erwin Speckter, Oldach (deren irdische Laufbahnen viel kürzer noch als die seinige geworden) u.s.w. zusammentraf, und dann im Sommer 1827 seinen Stab weiter nach Italien setzte. Er kam im Juli in Rom an, machte von dort im März 1829 einen Ausflug nach Neapel, war im Mai desselben Jahres schon wieder in Dresden, so wie im Herbste in Hamburg, wo er sich nun auf seine Kunst niederließ, und unter anderem nach dem verhängnisvollen Tode des würdigen I. G. Repsold im Januar 1830 eine treffliche Büste desselben verfertigte, deren Nachbildung von Erz in kolossaler Größe vor der Sternwarte als Denkmal aufgestellt ist. Er verheiratete sich 1834; wurde im Herbst 1838 veranlaßt, nach St. Petersburg abzugehen, wo er Aussicht auf reichliche Arbeiten bekam, und deren beträchtliche zur Ausschmückung des neuen Kaiserlichen Winterpalastes ausführte. Dieses mußte aber mit so übermäßiger Eile unter der zum Trocknen des Gypses erforderlichen Gluthitze geschehen, daß die Anstrengung ihm ein hitziges Nervenfieber zuzog, an welchem er dort am 16. März 1839 verschied; in Hamburg seine junge Witwe und einen, 1835 geborenen, Sohn zurücklassend.

Im Januar 1806 kam Friedrich Overbeck aus Lübeck mit einer Empfehlung des Malers Peroux, seines Lehrers, zu Runge, lernte ihn und seine Entwürfe kennen und hielt sich einige Wochen in Hamburg auf; im März ist er darauf zu seiner weiteren Bestimmung nach Wien (sowie in der Folge nach Rom) abgegangen. — Runge hörte damals die Vorlesungen, welche der Phrenolog Dr. Gall in Hamburg hielt. — Er wurde von einer Erkältungskrankheit befallen, welche die innere Gemütsbewegung über das nicht Genügende in seinem Streben steigerte, so daß sie für uns besorglich wurde. Doch genas er damals noch bald. Er hatte beschlossen für diesen Sommer mit Frau und Kind nach der Heimat zu reisen, vornehmlich um die Eltern zu malen, auch um zu sehen, ob und was sich für seine Kunst etwa dort anknüpfen ließe. Vorher jedoch begleitete er im März mich eben dorthin in einer höchst schmerzlichen Angelegenheit. Übel angewandtes Vertrauen hatte mich und meine Handlungsgenossen um alles, was wir durch die mühseligsten Arbeiten erworben, gebracht; eine Katastrophe, die auch in allen folgenden Jahren uns auf das schwerste drückte. Es war demnach zu versuchen, so viel als möglich zu retten, überdem noch mancherlei, das sich in den Verhältnissen aller unsrer Geschwister damals zutrug, zu ordnen. Es hielt uns in jenem Unglück vor allem andern die unermüdet treueste und rein aufopfernde Liebe unseres Jacob's aufrecht; und was Otto betrifft, so nahm er, alles andre für den Augenblick vergessend, aufs emsigste an den erforderlichen Arbeiten zur Bekämpfung jener Widerwärtigkeit Theil. Ja sein Liebeseifer war groß genug, wie er unserm Geschwisterkreise überhaupt stets so eigentümlich gewesen, daß er sich ernstlich erbot, wenn es nötig werden sollte, seiner Kunst entsagen zu wollen, um nur das erschwerte Lebensjoch auf unmittelbarere Weise mit uns fortzuziehen. Wir kamen in den ersten Tagen des Aprils nach Hamburg zurück und am Schluß desselben Monats führte Otto seine Absicht, nach Wolgast zu ziehen, aus. Die ganze Gegend bis dahin war damals von teils Schwedischen, teils Russischen Völkern besetzt, was in Verbindung mit den bald nachher sich entwickelnden Kriegsereignissen stand.

Der Gram über jene Unbilden, die uns betroffen, hätte beinahe das Herz unsrer geliebten Mutter gebrochen, sie verfiel in eine den Tod drohende Krankheit, durch und nach deren Verlauf unser Künstler in der Ausführung seines begonnenen Familiengemähldes so wie andrer Bilder aufgehalten war und daher im May eitle längst beabsichtigte Reise durch die Insel Rügen mit Professor Schildener aus Greifswald vornehmen konnte. Zwar begünstigte sie das Wetter nicht, er fand jedoch später im Oktober Musse und bessere Gelegenheit, die Reise in Gesellschaft seiner Brüder aus Mecklenburg und einiger Freunde derselben (wobei teilweise noch Dr. Lappe aus Pütte, früher Mitschüler meiner Brüder, und Andre sie begleiteten) zu wiederholen und selbst nach der Halbinsel Mönchsgut auszudehnen, wo grade auf den Befehl des Königs von Schweden Anstalten zur Gründung einer neuen Hafenstadt getroffen wurden, welche jedoch keinen Erfolg gehabt haben. Auf dieser zweiten Reise hatte Runge nicht, wie auf der ersteren, Kosegarten auf Wittow zu Hause getroffen. — Es waren aber jetzt die Vorboten eines großen Kriegs- und Weltereignisses unsern Gegenden ganz nahe gekommen; insonderheit hatte ich ihrer schon am Ende des Septembermonates, veranlaßt durch einen Besuch des großen Geschichtsschreibers Johannes Müller bei Perthes in Hamburg, der uns mit zu leicht aufgefaßten vaterländischen Hoffnungen erfüllte, erwähnt, und — am 25. Oktober meldete mir Otto, wie sehr sie in der Heimat die Nachricht von der großen Niederlage des Preußischen Heeres bei Auerstädt erschüttert habe. Der Ton dieses Wetterschlages war noch nicht verhallt, als sich grade in Wolgast die sichtbaren Spuren seiner grenzenlosen Verheerungen darstellten, indem der Troß mit dem Gepäck des besiegten Heeres dieses über die Grenze hin durch das Schwedische Gebiet nach der Insel Usedom vor den nachdringenden Franzosen zu retten bestrebt war, gleich darauf letztere die Stadt brandschatzten, zugleich auch von der, Blücher´n nach Lübeck hin verfolgenden Heeresabtheilung das Muratsche Corps mit gräßlicher Verwüstung durch das Strelitzische zog, und von unsrer Familie namentlich unsern Karl mit seiner jungen Gattin nötigte, auf einige Wochen die Flucht nach Neubrandenburg zu nehmen.

In derselben Zeit war Klinkowström, nachdem die Gemäldegalerie von Dresden in Sicherheit gebracht worden, mit der größten Gefahr und Beschwerlichkeit die beunruhigten Länder durchziehend, nach Ludwigsburg gekommen, um seiner Eltern und Geschwister Angelegenheiten wahrzunehmen. Der Entschluß unseres Runge, den Winter in Wolgast zu bleiben, statt er schon im Oktober nach Hamburg zurückzureisen gedacht, war nun sehr bald gefaßt. Mehrere Wochen waren unsere Lieben von uns in Hamburg und über unser Schicksal, eben so wie über das der Mecklenburger ohne Nachricht geblieben. Wir in Hamburg waren nach dem grauenvollen Schicksale Lübeck's mit Beförderung von Unterstützungen dahin bis zu dem Augenblicke beschäftigt, wo die Besitznahme unsrer Stadt selbst durch die Franzosen am 19. November und das Dekret des großen Kaisers aus Berlin uns mehr als zuviel mit uns selbst zu tun gaben. Dadurch wurden, wie die Verhältnisse Hamburgs überhaupt, so auch namentlich unsre besonderen auf das empfindlichste zerrüttet. Noch fanden wir zwar Freundeshilfe, und unermüdet wie immer blieb auch unter den größten Schwierigkeiten der Kommunikation die unseres Jacob's, dem Otto, insonderheit durch Reisen nach und von Stralsund u. s. w., treulich beisprang. Wir hatten nach der letzteren Stadt unsern Speckter abreisen lassen, dem es leider nicht gelingen wollte, auch nach Wolgast zu kommen. Fürchtend, daß eine Wiedervereinigung Otto's mit mir in Hamburg künftig schwerlich werde bewirkt werden können, waren er und die Unsrigen schon ernstlich darauf bedacht, daß er sich in Greifswald auf seine Kunst niederlassen möge, und sie drangen zugleich stark in mich, im nächsten Jahre die Handelsverbindung mit meinen geliebten alten Freunden auszulösen, damit ich endlich für mich selbst zu einer ruhigeren Existenz gelangen könne.

Es ist ein merkwürdiger Umstand, wie durch alle diese das Gemüt erschütternden Erfahrungen hin ein Briefwechsel mit Goethe, den Runge um die Hälfte des Jahres angeknüpft hatte, wie ein lieblicher Strahl aus einer reineren Region ihn erquicken mußte, und gegenseitig dem Dichter selbst dadurch Freude in einer Zeitperiode wurde, wo sie um ihn her so leicht nicht zu finden war. Mit nicht geringem Wohlgefallen nahm er die ihm von unserm Künstler zugesandten Radierungen auf, und als derselbe ihn vollends mit seiner so durchgreifenden Farbenansicht überraschte, hätte ihm augenscheinlich nichts mehr willkommen seyn können, als ein solcher Einklang von Seite eines praktischen Künstlers in seine eigne. Seine freundlichen Äußerungen erweckten in der Seele des letzteren sehr zur rechten Zeit frohen Mut. Was er an Goethe über die vernommene Behauptung, Newton habe schon dasselbe wie er gelehrt, schrieb (m. s. die Anekdote in Goethe's Farbenlehre Th I. S. 375), beruhte freilich auf einem Mißverstande; man hatte nur sagen wollen, schon Newton sei, eindringender als noch jemand, auf die Erforschung der Wesenheit der Farben eingegangen, aber ohne daß daraus auch nur der geringste Nutzen für die Künste abzuleiten gewesen, so phantastisch gleich seit langem die Redensart von Eintauchen des Pinsels in die Farben des Regenbogens coursirt habe. Was die ausgeschnittenen Blumen betrifft, mit welchen Runge den Dichter erfreute, habe ich vernommen, daß sie zusammengestellt eine Komposition bildeten, wo man unten Büsche von Veilchen mit den Wurzeln, als die ersten Blumen des Frühlings sah, auf welche zu beiden Seiten hinauf Aurikeln, Convallen, Vergißmeinnicht u. s. w. bis zu den Rosen oben folgten, während eine große Lilie sich in der Mitte zeigte. Man kann wohl denken, daß Runge bei dieser Gelegenheit sein Äußerstes mit der ihm ganz eigentümlichen Kunst getan habe. Zu einer Zeit, wo er von Keinem von Allen, deren Mitteilungen er mit Sehnsucht erwartete, Briefe erhielt, mußte grade einer von Goethe, und zwar ein so zusagender, auf fast unmöglich scheinende Weise zu ihm gelangen.

In den ersten Monaten von 1807 wurde es in gemeinsamer Beratung mit den Meinigen uns allen immer klarer, daß es am geratensten und befriedigendsten für Otto und mich seyn würde, eben um uns beide, jeden unabhängiger und ruhiger wirkend im Leben zu stellen, daß er mit mir in förmliche Handlungsgenossenschaft (wiewohl nicht öffentlich) träte, nach, zwar sehr schmerzlicher, Auflösung meiner älteren, die dann am 11. Mai erfolgte. Man wird aus den von mir mitgeteilten Brieffragmenten von dieser Zeit abnehmen, aus welcher treuen Liebessorge für mich, und zugleich wie bieder, mit Ergebung in die von Gott gesendeten außerordentlichen Wandlungen der damaligen Zeit, er seinen Entschluß faßte; der Kunstausübung, nun ohne bestimmte Rücksicht auf Erwerb durch dieselbe, nur soviel Musse vorbehaltend, als jene Sorge ihm übrig lassen würde. Um uns in den häuslichen Einrichtungen des ersten Jahres beizustehen, kam mit ihm, seiner Gattin und seinem Kinde auch unsre Schwester Maria herüber, und grade als sie am 15. April von Wolgast abreiseten, indem Jacob sie bis nach unsern Geschwistern im Streliyischen begleitete, drangen die Französischen Truppen über die Peene vor, um die Schwedischen nach Stralsund, dessen Belagerung nun bald anfing, zurückzuwerfen, so daß, als unser Bruder umkehrte, er acht Tage lang zwischen beiden Völkern eingeklemmt blieb und wir auf beiden Seiten lange ohne Kunde von ihm waren. Die Reisenden kamen am 27. bei mir in Hamburg an.

Am 25. Juni kam die Tochter unseres Runge, Maria Dorothea, zur Welt. — Sein näheres Anschließen an meinen Geschäftsbetrieb und an meine Sorgen hatte doch, wie vorausgesehen war, das Gute, ihm ein Gefühl der Festigkeit seiner bürgerlichen Lage zu geben, und ihn damit mehr über die Art und Weise seines Kunststrebens und Naturerforschens zu beruhigen. Was ihn denn aber auch antrieb, ernster und gründlicher wie je auf beides einzugehen, zunächst die Farbenlehre in's Auge fassend, um das Tiefere, was sie ihm in der Erkenntniß bieten würde, dann mit Sicherheit in der malerischen Ausführung seiner Tageszeiten zu verwenden. Besonders, nachdem er sich nun zur Herausgabe der vier Radirungen im Verlage von Perthes entschlossen hatte. Er schrieb über den hierin genommenen neuen Gang und seine ganz neue Stellung unter Andern an Tieck, der sich bald nachher in Sandau aufhielt. Die Erscheinung seiner Blätter machte von jetzt an mehrere Forscher und Gelehrte, die sich davon angezogen fühlten, aufmerksam, und erwarb ihm persönlich und im Briefwechsel Bekanntschaften. — Es war nun in Tilsit zu einem Frieden gekommen, der, wie es zwar in der Lage der Dinge nicht anders sein konnte, die Unterdrückung Preußens und Deutschlands vollendete; und tief in das Herz griff unserm Runge, wie allen Edleren, die falsche Beruhigung, welche eine, an nichtiger Geschäftigkeit hangende Welt hierin für die Verfolgung ihrer untergeordneten Zwecke zu finden glaubte; den stehenden Sumpf des allgemeinen trüben Zustandes für die ruhige Fläche eines in sich lebendigen Wassers, in welchem sich die Sonne und die Gestirne spiegeln, nehmend. Er seines Teils konnte unter solchen Umständen nur Eine Richtung als die allein Gott gefällige und durch Gott gedeihliche für sich anerkennen, und bei Allen, auch der verschiedensten Art, aufweiche er wirken konnte, nur auf dieselbe dringen: Gottvertrauen und Tätigkeit in Entwickelung seiner selbst aus dem innersten Kern der Seele, um dadurch für eine bessere Zukunft zu bauen. Ängstigend blieb für uns und die Unsrigen noch eine Zeitlang aus dem Kriege übrig die jetzt erst anfangende schwerste Bedrängung unseres Heimatsländchens, um Stralsund zu überwältigen, und, näher an Hamburg, die, auf den freilich mit äußerster Rohheit geführten zweiten Angriff von England, folgende maaslose Hitze in den Verfügungen Dänemarks, wodurch es, wie Runge meinte, „von allen Seiten her nur in's Unglück geführt, alles, was es für sich zu tun glaubte, grade gegen sich tat." Wir in Hamburg erhielten eine äußerst starke Einquartierung von Spanischen Völkern in den besten Regimentern ihres Landes, die der Weltbesieger möglichst weit von ihrer Heimath zu entfernen für staatsklug hielt, aber es war das unverhoffte Glück dabei, daß die gemütliche Landesart dieser guten Soldaten den Einwohnern zusagte und fast durchgängig die Herzen gewann. Der Sommer war sehr heiß, und dieses, nebst der Seelenarbeit, welche aus allem Angeführten in unserm Künstler entstanden, machte, daß er einigemale ziemlich bedeutend erkrankte, in seinem Gefühle tiefer noch als in der äußeren Erscheinung, wovon er, nach einem seiner Briefe, die Quelle in den Verdauungsorganen und den Nerven suchte und eine Krankheit auf einige Jahre für wahrscheinlich hielt. Wohl auch eine heilsame Zerstreuung in dieser Hinsicht suchte er, als er im Dezember nach Lübeck reisete, dort die werthvolle Bekanntschaft des Pastors Geibel und Karl's v. Villers (dessen Bruder, damals in Moskau, eine Schwägerin unseres Runge geheirathet hatte) machte, und Rumohr in Krempelsdorf besuchte. Nicht lange vorher hatten wir eine neue Wohnung in der Stadt bezogen.

Mit Rumohr kam auch im folgenden Jahr öfter der edle Jüngling, Karl Sieveking, zu Runge Lezterer hatte in Krempelsdorf auch den herzlichen Steffens angetroffen, der dann auch mit seiner Gattin nach Hamburg kam, und mit seinem ledhaften Geiste, naturphilosophischen Ideen und Kenntnissen ungemein förderlich für unsern Künstler ward, seine Ahnungen und Einsichten, die Farben betreffend, zu einer Gestaltung in der Erkenntniß zu bringen, so daß er seinen ersten Entwurf über die Farbenkugel schon gegen Ende dieses Jahres an die Seinigen, um ihnen einigen Begriff von seinem Streben zu geben, absenden konnte. Damit, und unter verschiedenen Vorübungen im Malen, fand er sich in seinen Studien nun auf den Punkt gekommen, daß er im Oktober die Ausführung des Morgens beginnen konnte.— Ich habe an einem andern Orte bemerkt, wie unser Bruder Jacob uns im August mit den beiden Töchtern unsrer verheirateten Schwester besuchte, und sie unsre Maria heimholten. — Klinkowström, der auch noch fast dieses ganze Jahr unter betrübenden Umständen dem Land- und Hauswesen seiner Eltern daheim vorstehen mußte, hatte sich, seinen grillenhaften Neigungen gemäß, von Andern in den Kopf setzen lassen, der Gang, den (nebst Tieck und durch ihn) unser Künstler, und mit ihm er selbst, eingeschlagen, sei ein rein phantastischer und verderblicher. Durch so etwas konnte aber unser Runge nur noch fester in sich und auf seinem Sinn beharrender werden, und seine gediegenen Erklärungen überwanden denn auch bald wieder den Wahn im Gemüte des Freundes. In dessen häuslichen Verhältnissen ereigneten sich auch endlich durch Zugreifen seiner Brüder solche Änderungen, daß er seinem Studientriebe wieder folgen konnte, und zu unsrer Freude im November auf der Reise nach Paris bei uns einsprach.

Die Erscheinung des Kommentars von Görres über die vier Radirungen (welche Brentano, von Liebe für dieses Werk durchglüht, ihm gebracht hatte) machte die lesende Welt immer gespannter auf irgend etwas, das von Runge hervorgehen würde. Dieser nahm im Jahre 1809 eine Überarbeitung seiner Abhandlung über die Farbenkugel vor, welche Perthes verlegte, und deren Druck gegen Ende des Jahres beinahe vollendet war, wo noch die schätzbare Beilage von Steffens hinzukam, die derselbe unter sehr mannichfaltigen Störungen ausgearbeitet hatte. Auch wurden die damit verwandten Ansichten von der Harmonie und dem Ineinanderspielen der Farben und des Lichtes unaufhörlich weiter verfolgt, und die Entwerfung mehrerer allegorischen Compositionen zu Bücherdeckeln und anderen Verzierungen füllte die Zwischenzeiten von diesen Geistesarbeiten und der weiteren Ausführung seines Morgengemäldes. Klinkowström sandte ihm Farben und andre Malerbedürfnisse aus Paris, und dessen Stellung daselbst und Mittheilungen unter dem Anschauen der unsterblichsten Werke aus dem höchsten Blütenalter der Malerei regten in Runge jetzt, wo die Erreichung seines Zieles, aus eigner innern Bestrebung der Behandlung Meister zu werden, ihm so sehr viel näher gekommen war, das herzliche Verlangen auf, jene Schätze nun auch selbst zu sehen, was ihn, wie er meinte, nunmehr allerdings schneller und richtiger den erkannten Weg festzuhalten helfen würde. Allein gegenwärtig riet jener Freund selbst davon ab, so sehr hatte er sich von dem Gehalt und der Fruchtbarkeit der Strebungen unseres Runge, wenn er sie ohne zu lebhafte Einwürkung der Schöpfungen Andrer weiter verfolgen würde, überzeugt. — Ich hatte im April dieses Jahres an Steffens nach Halle das Manuscnpt meines Bruders von Magdeburg zugesandt, wohin ich gereiset war, um der Schwiegermutter des lezteren entgegenzukommen, die ihrer Tochter Beistand leisten wollte, welche am Abend des 10., an dem wir in Hamburg angekommen waren, von ihrem Sohne Gustaf Ludwig Bernhard entbunden wurde. Darauf ging ich sogleich auf länger als einen Monat zu einer Geschäftsreise nach Mecklenburg und Pommern ab. — Die körperlichen Beängstigungen, welche sich bei unserm Otto auch dieses Jahr nicht viel weniger, als im vorigen, einstellten, und wider welche er ärztliche Hilfe suchen mußte, ließen ihm jedoch noch Hoffnung, daß eine starke Bewegung im Freyen heilsam für ihn wirken würde, weshalb er im August eine Fußreise nach Eutin zu Wilhelm Tischbein, der sich jetzt dort niedergelassen hatte, und mit dem sich immer über die Kunst und insonderheit ihre Practik angenehm und belehrend sprechen ließ, machte. Auf der Hin- und Zurückreise besuchte er den Grafen Adam Moltke in Nütschau, bei welchem er Niebuhr antraf (welcher, nebenher gesagt, in den spätern Briefen aus Rom in seinen „Lebensnachrickten" mit seinem klugen und durchschauenden Geiste Ansichten über Gegenstände, welche der Kunst verwandt, äußert, die unserm Runge sehr zugesagt haben würden). Der Ausflug schien ihm so wohl bekommen zu sein, daß unser, uns jetzt um die Hälfte näher (am Müriz-See) wohnender Bruder David ihn wiederholend einlud, eine ähnliche Reise zu ihm zu machen; selbst noch im Dezember, wo er es, da die kürzeren Tage das Malen hinderten, vielleicht doch noch getan hätte, aber schon darum ablehnen mußte, weil ich gleich im folgenden Jahre einigemale nach Holstein zu reisen hatte. Im Oktober war Louise Reichard (Schwägerin von Steffens) nach Hamburg gekommen und begann hier ihre musikalische Laufbahn, unsern Herzen sehr werth werdend. Auch waren wir schon seit 1808 auf das innigste befreundet mit unseren lieben Hausnachbaren, Petersen und seiner Gattin, die sich aus treuer, reiner Neigung der ersten Bildung meines kleinen Neffen höchst sorgsam befliß. — Faber und Böhndel kamen gegen Ende des Jahres von Rom an, was unserm Runge viele Freude machte.

Im Februar 1810 verlangte Richter in Leipzig von Runge eine Zeichnung zum Umschlage des Beckerschen Taschenbuches für 1811 und sie wurde ihm schon zu Ostern geliefert. — Mit dem Anfange des Februars war sein Farbenwerk im Druck fertig, und er beförderte Exemplare davon an Freunde und Gelehrte. In wie ferne nun seine Theorie mit der Newtonschen Lehre von den Farben im Widerspruche stehe, dagegen in Übereinstimmung mit der Ansicht von Goethe (wie er, zwar mit unvollkommener Kenntniß von den Abhandlungen des großen Engländers, allerdings meynte), oder nicht, dieses werden wir den Männern der Wissenschaft auszumachen anheimstellen müssen. Steffens, so wie Görres, wie man aus ihren Briefen sehen wird, glaubten, daß sie sicher auf ihren eigenen Gründen ruhe, auch keinen solchen Widerspruch in sich hege, und von Newton's, aus der Strahlenbrechung hergeleiteten, Schlüssen eigentlich nicht berührt werde.

DANIELS Kommentar dazu [P.R.]:

Und in der Tat ist es merkwürdig, daß ein so scharfsinniger Mathematiker wie Tobias Mayer, von dem wohl niemand leicht annehmen wird, daß er nicht das Newtonsche System gründlich gekannt habe, noch 1758, um ein umfassendes Schema von der Affinität der Farben zu geben, nur drei Grundfarben annahm, da, wie Goethe (Farbenlehre II. S. 568) bemerkt, Newton's „erste, homogene, einfache Farben die wunderliche Eigenschaft hatten, daß ein großer Teil derselben von den zusammengesetzten nicht zu unterscheiden war;" wie denn auch schon Boyle „den Mahlern das Recht erteilt hatte, nur drei primäre Farben zu statuiren." #)

#) Auch hat, ziemlich gleichzeitig mit Runge, aber diesem unbekannt geblieben, der brave Klotz, Mahler in München, sich ernstlich bestrebt, hierauf, zwar mit unendlich viel mehr Geist als Klarheit des Ausdrucks, eine Farben- und Mahlerlehre ausführlich zu begründen, ebenfalls hierin von Goethe aufgemuntert. „Erklärende Ankündigung einer Farbenlehre, und des daraus entstandenen Farbensystems. München 1810."

Freylich scheint Meyer auch Mischungsversuche mit bestimmten Pigmenten (und Lambert tat dieses späterhin wirklich) angeraten zu haben, von welchen er doch selbst zugiebt, daß sie die Farbe nicht rein darstellen, am wenigsten vollends die von ihm selbst empfohlnen trocknen Pulver. Es war allerdings, und ist auch nachher, für jeden, der über die Farben etwas den Malern, oder auch den Färbern, Brauchbares erörtern wollte, Notwendigkeit geblieben, die Newtonsche Lehre ganz und gar beiseiteliegen zu lassen, weil sich zu ihrem Zwecke auch nicht das geringste aus derselben wollte herleiten lassen; es fangen (sagt Goethe l. § 731) „die sämmtlichen Färbelehren mit einer respectvollen Erwähnung der Theorie geziemend an, ohne daß sich auch nachher nur eine Spur fände, daß etwas aus dieser Theorie herflösse, daß diese Theorie irgend etwas erleuchte, erläutere und zu practischen Handgriffen irgend einen Vortheil gewähre." Ja, auch nur um die Farbe zu entfernen (im Bleichen), zeigte sie sich völlig unwirksam, und als auf ihrem eignen Felde, wiewohl auf einem andern Wege, die Achromasie erschien, fürchteten die Anhänger Newton's eine Zeitlang den Sturz ihres Systems (Goethe's Farbenl. II. S. 581 ff.). Allein ungeachtet dieser praktischen Unfruchtbarkeit müssen wir gestehen, daß sich aus derselben über den Ausgang nichts prädiciren ließ, welchen der Kampf nehmen mußte, oder genommen haben mag, zwischen den wissenschaftlichen Systemen der Entstehung und des Wesens der Farben, von zwei so ungemein verschiedenartigen Männern wie Newton und Goethe; wovon dem lezteren die gebührende Schätzung mathematischer Schärfe unmöglich gewesen zu sein scheint, der erstere hingegen, wo er, um die Probe auf seine, aus den prismatischen Experimenten gezogenen Schlüsse zu machen, es versuchte, durch Mischung körperlicher Farben Weiß hervorzubringen, sich mit einer Unbehilflichkeit dabei nahm, die, es sei erlaubt, dies zu sagen, bis in's Lächerliche ging (Goethe I. S. 602—612). Wie denn auch der scharfsinnigste unter den Gegnern Goethe's, der uns bekannt geworden, Pfaff, ihm dennoch zugiebt (Ueber Newton's Farbentheorie, v. Goethe's Farbenlehre u.s.w. Leipzig 1813. S. 51 ff.), daß auf solchem und ähnlichen mechanischen Wegen nie ein vollkommenes Weiß herauskomme. Wir wollen auch auf die Gefahr hin, vielleicht recht arg anzustoßen, unsere Ahnung nicht verhehlen, daß, wo in den Lehrbüchern die Newtonische Theorie auf die, den ausübenden Künstler zunächst interessirenden „dauernden Farben der natürlichen Körper" (nach Newton; Goethe l. S. 623), bei Goethe (I. S. 186 ff.) chemische Farben, oder (S. 255) „dauernde, den Körpern würklich einwohnende" genannt, anzuwenden, und diese daraus zu erklären, unternommen wird, ein Sprung auf Tod und Leben in ein fremdartiges Gebiet vor sich geht, und der Ausdruck, „die Farben" solcher,,dunkeln Körper rührten daher, daß sie nur gewisse Strahlen zurückwerfen , die andern aber einsaugen'' (Erxleben's Naturlehre §. 374), nach Newton (Goethe I. S. 603) „in sich verschlingen und auslöschen," leicht einem Überschlucken der hier vorkommenden Schwierigkeit nahestehen und ein Nothbehelf sein möchte; es wäre denn, daß fortgeschrittene Erfahrungen auf chemischen u. s. w. Wegen den Newtonianern in neueren Zeiten hier Hilfen gebracht hätten, auf welche sie früher nicht hoffen durften. Wie dem allen auck sey, es würde für die Einigkeit in der Wissenschaft, und damit gewiß denn auch für ihre Anwendung im Praktischen ein tröstlicher Erfolg sein, wenn es sich bestätigt hätte, was der Rezensent von Goethe's Buch in den Heidelberger Jahrbüchern von 1810 (3r Jahrg. 7s Heft) meinte, „nämlich, daß, richtig verstanden, N. und G. gar nicht in Widerstreit seyen,#) indem sie nicht von dem einen und gleichen sprechen, sondern G. einen physiologischen, N. einen äußerlich physikalischen Gesichtspunct gewählt habe, von dem aus sich ganz verschiedene Gesetze zeigen."

#) Von dem didactischen Theil des Goethe'schen Werkes: „Zur Farbenlehre" ist im Jahre 1840 eine Übersetzung in's Englische von Hrn. Eastlake erschienen, welche derselbe zum Nutzen der Künstler bestimmte. Ein Beurtheiler jedoch im Näiukurßn Revier vom October jenes Jahres macht ihm nicht allein diesen Nutzen durchaus streitig, sondern behandelt auch mit der tiefsten Verachtung die ganze Arbeit Goethe's, als im Widerspruch stehend mit dem, jeden Zweifel ausschließenden Glaubensartikel von der Infallibilität Newton's. Ich sage: die ganze Arbeit; denn obwohl der Keviener die beiden andern Theile des Werkes nicht vor sich hat, so läßt er sich doch deutlich genug merken, daß er auch schon darum davon keine Notiz genommen, weil dieses zu thun, auch wenn sie aus ihrem barbarischen Idiom übersetzt wären, leicht gar zu sehr unter seiner und seiner Nation Würde seyn könnte. — Inzwischen findet er sich an einer Stelle doch zu folgendem Eingeständnisse gedrungen: Though it is no doubt true, as the late Sir John Leslie, quoted by Mr.Eastlake, has statet, that the colours (im Spektrum) slide into each other by indefinite shadings, yet when Newton sait [Optics Book I. part 2 prop. 3) that by obersvations which agreed well enough with each other, the boundaries of the colors dividet the spektrum “after the manuer of a musical chord,” he statet only a fact wich was true in reference ti the spectrum wich he studied. - That we may not again refer to the seven colours denounced by Mr.Eastlake, we may observe once for all, that science and art are not at variance when philosophers say, that there are seven colors in the spectrum, and when the painter alleges that all possible colors may be produced by three primitive ones, red, yellow, and blu. It has been recently found, indeet, that though are certainly seven colors in the spectrum, yet all these seven arise from the superposition of three spectra of equal lengths, vis, a red, a yellow, and blue spectrum. These three mixed in different proportions make seven, and the only defeect in Newton´s doctrine on the subject is in his statement, “that to the same degree of refrangibility ever belonged the same color, and to the same color ever belonged the same refrangibility.” This, however, was a defefect not an error, and we may add, that the superposition of colors in the spectrum was as little known to Goethe as it was to Newton. - Da sind also die drei reinen Farben doch völlig in integrum restituirt — aber was wird denn nun aus der Unumstößlichkeit der so fest behaupteten Einfachheit und Ursprünglichkeit der sieben homogenen Lichter? — (Man vergleiche die, überhaupt auch schon so merkwürdigen Beylagen 2 und 3 in Hrn. Prof. Pfaff's von mir bereits angeführtem Buche, wo diese Homogeneität ein „Ideal" genannt, und nicht geläugnet wird, daß der Versuch, sie darzustellen, „fast durchaus hinter der Idee zurückbleibe.")

Er fügt hinzu: „Der Grund des Unterschiedes unsrer Empfindung von Weiß und Schwarz, Roth, Gelb, Grün und Blau müßte notwendig in der Organisation des Auges nachgewiesen werden; der Unterschied in den Gesetzen der Bewegung des Lichtes hingegen, welches die eine oder andere Farbe zu erregen im Stande ist, kann zum Teil am Prisma beobachtet werden. N. beobachtet die verschiedene Richtung der Lichtstrahlen, ohne auf eigentliche Erklärung des Unterschiedes der Farbe für das Auge auszugehen, G. hingegen hat den Blick immer auf das leztere gerichtet." (Wobei es nur über unsre Einsicht geht, wie dieselbe Rezension nur wenige Zeilen vorher Newton's Theorie die Ehre hatte vindiciren wollen, „dem Künstler— was Goethe's nie vermögen werde — zu zeigen, wie er im Mikroskop und Teleskop Licht und Farbe zwingen könne, seinen Zwecken zu dienen." Es begreift sich, daß unter dem „Künstler" hier nur der optische gemeint sei; wie aber, wenn selbst diesen nur gegen Newton's Willen gelehrt worden, was ihm frommen konnte?) — Ja wir wiederholen es: Möchte sich bestätigen, wozu es nach Pfaff (S. 10) eben vor der Erscheinung von Goethe's Hauptwerk sich anließ; es heißt nämlich dort: „Newton's Farbenlehre schien sich auch mit diesen neuen Ansichten vollkommen vertragen zu können, ja sie gewann einen neuen Glanz durch dieselben. Denn eben das weiße Licht, das für Newton eine bloße Sammlung aller Nuancen brechbarer Strahlen war, trug mit den Farben in sich auch die wirksamsten Agentien, die jeden elektrischen und chemischen Prozeß anfachten, und das ganze Leben der Natur ging aus einer Wechselwürkung der Materie und des Lichtes, aus einer beständigen Polarisirung des lezteren und Wiederaufhebung dieser Polarisirung hervor. Ritter, Winterl, Schelling und Andre blieben in diesem Sinne Newtonianer."

Was wohl im Fortgange unser Runge aus den Naturahnungen, welche er mit so liebender Treue verfolgt hatte, für seine Kunst weiter abgezogen haben möchte, wagen wir nicht nach dem Sinne, in welchem er bisher verfahren hatte, zu ermessen. Er hatte im Sommer von 1810 das Goethe'sche Buch, nach welchem ihm so sehr verlangt, zu einer Zeit zu lesen angefangen, wo sein Geistesvermögen durch seinen Krankheitszustand herabgedrückt war, und die körperlichen Kräfte ihm, sich anhaltend damit zu beschäftigen, nicht mehr gestatteten. —

Während der ersten und sehr kalten Wintermonate dieses Jahres hatte er, vertieft in sein Studium, oft die ihm gebotne Pflege zu sehr vernachlässigt, und um so früher entwickelte sich nun die Krankheit, welche sich schon seit einigen Jahren in ihm geregt. Schon hatte er im März einen ersten Anfall derselben gehabt, als er, in der Meinung, die er schon sonst gehegt, daß die freiere Luft ihm Besserung bringen werde, mit Dehn eine kleine Reise nach einem, von diesem in Holstein gekauften Landgute machte, auf derselben aber von dem ausdörrenden Nord-und Nordostwinde, welcher überhaupt bis tief in dieses Jahr hinein vorherrschte, getroffen, mit Hämorrhoidalbeschwerden und ihm keine Ruhe lassendem Husten zurückkehrte, und bald von einem zweiten heftigerem Paroxysmus überfallen ward, von dem er erst gegen Ende Aprils leidlich sich hergestellt fühlte, der uns aber schon ganz angst wegen Auszehrung gemacht hatte, und beynahe seine gute Schwiegermutter aus Dresden zur Herüberkunft vermocht hätte, wäre sie nicht, gebeugt durch nähere Umstände, eben damals selbst erkrankt. Gleich im Mai warf ihn ein entschiedenes Lungen- und Nervenübel vollends auf's Lager und brachte ihn an den Rand des Grades, von welchem ihn nach drei Wochen eine Fieberkrisis noch zurückrief, aber auch nur in großer Schwachheit noch leben ließ. In diesem Augenblick kam unser David, da ich so sehr nach einem unsrer Brüder verlangt hatte, auf wenige Tage zu uns und konnte sich der vermeintlich bessern Aussicht auf Genesung mit uns freuen. In den letzten Wochen des Juni nahmen die freundlichen Petersen's Runge und die Seinigen mit zu sich aufs Land nach Borstel, wo er sich ungeachtet der, bis zum September dieses Jahres anhaltenden, unfreundlichen Witterung doch einigermaaßen erholte, weshalb meine Brüder ihn wieder zum Besuch nach Mecklenburg einladen zu können glaubten (wo im August unsre Eltern bei dem Bruder David eintrafen). Er hoffte anfangs, dieses im Juli benutzen zu können, fand sich aber so schwach, daß die äußerste Anstrengung, welche er sich bieten konnte, in einem Spatziergange nach dem nahen Lockstedt bestand, wo er sich in geistigen Gesprächen mit Pastor Schultze aus Hamburg, der dort eine Sommerwohnung hatte, erging.

Einmal glaubte er damals, Teilchen der Lunge in seinem Auswurf verspürt zu haben, beruhigte sich aber wieder in der Meinung, daß er sich getäuscht. Still für sich weinen aber machte ihn die Erfahrung, daß seine Hände nicht mehr die Kraft zu dem ihm sonst so geläufigen Ausschneiden in Papier hatten [Scherenschnitte], und er sich einiges von Blumen dazu mühsam vorzeichnen mußte. Im August zog er nach Harvestehude, und es trat endlich schöneres Wetter ein, er konnte auch einigemale Spaziergänge, selbst bis Eppendorf machen und mancher liebe Besuch erfreute ihn hier; auch konnte er unter andern noch einen Brief an Brentano schreiben. Noch glaubte er, daß der Grund seiner Krankheit im Magen liege; Wechselfieber, Husten und unruhige Nächte quälten ihn wieder sehr; Nasenbluten machte ihn einigemale wieder ruhiger.

Mit der kälter werdenden Jahreszeit kam er im Anfange Oktobers wieder zur Stadt und hier erhielten wir die Nachricht von dem Ableben unsrer zweiten, der verheirateten Schwester, aus Mecklenburg, nach einer quaalvollen Krankheit. Er nahm sie mit stiller Fassung auf. Was mit ihm und uns in diesem und dem folgenden Monate unter den furchtbaren Leiden seines zehrenden Übels weiter vorgegangen, nur einigermaaßen zu erwähnen, habe ich im Briefe an von Klinkowström vom 9. März 1811 versucht, aber freylich ist es auf die unzulänglichste Weise nur geschehen, indem kein Ausdruck an die Sckmerzen, Schrecken, und das Seelenerhebende für uns und alle die lieben Freunde, die ihn umgaben, in den Tagen und Stunden dieser Zeit reichen kann. Erwähnen will ich hier nur noch, daß die ihm häufig eingebenen schmerzstillenden, die Sinne mit falscher Annehmlichkeit täuschenden Opiate in ihm, als das Nahen des heiligen und barmherzigen Gottesgerichtes ihm verhüllend, zuletzt einen solchen Abscheu erregt hatten, daß er, schon in Todeskrämpfen, die Wärterin, die ihm ein solches, wie er meinte, reichen wollte, heftig bei beiden Händen ergriff und eine Zeitlang, zum unsäglichen Schrecken dieser Armen, festhielt. — Er verschied am Sonntage den 2. Dezember Nachmittags, und wurde am 5. auf dem St. Petri-Gottesacker zwischen den vorangegangnen Kindern unseres Perthes in dessen Erbbegräbniß zur Erde bestattet.

Der Schmerzenssohn, den seine Witwe am Abende des Tages nach seinem Tode zur Welt gebar, und der seinen vollen Namen erhalten hat, wurde erst am 13. Januar 1811 von dem lieben Freunde des Seligen, dem Pastor Schultze, getauft, der zum Texte einer Rede, die er hielt, die Worte (Pr. Sal. VII. 9. 2) gewählt hatte: „Das Ende eines Dinges ist besser, denn sein Anfang, und der Tag des Todes besser, als der Tag der Geburt." — Ja wohl. — Unvollendet für diese Welt mußte wohl das Leben unseres Geliebten, und kaum erst angefangen sein Tagewerk hienieden erscheinen; aber er war dennoch eine reife Frucht für den Himmel, der gewiß über unser Verstehen hinausführt, was aus ihm begonnen, und Fortgang gehabt. — Er war „entgangen aller Noth, die uns noch hielt gefangen." —

Ausgesetzt war die Taufhandlung so lange Zeit worden, damit unser Bruder Jacob derselben beiwohnen konnte, der (nachdem Gustaf schon im Dezember hier gewesen, gleichwie David wieder im April 1811 zu uns kam) uns einen Monat lang mit seinem Besuch tröstete. Auf der Rückreise in dem harten Winter, - nachdem er vorher die, Anfangs Novembers zu uns gekommene Mutter Bassenge aus Dresden und deren schon früher hier gewesene Nichte bis über die Elbe begleitet, - zog er sich eine Erkältung zu, welche eine seit Jahren in ihm geschlummerte Krankheit zum vollen Ausbruch brachte, an welcher er in Wolgast am 7. Juni selig entschlief. Er war ein überaus tätiger Geist in einfachster Frömmigkeit, eine Seele voll himmlischen Wohlwollens, und sein Verlust unter allen Umständen für die Seinigen, für unsre ganze Familie, und mich, der härteste Schlag von allen, die uns damals hätten treffen können. — Gleich auf die Nachricht eilte aus aufopfernder Liebe unser Petersen zu den Meinigen in Pommern und Mecklenburg, um zu trösten und zu raten. Am 8. März 1835 ist dieser Würdige zum Anschauen des Heilandes, den er hier geliebt hatte, auch abgerufen worden.

Wenn ich im Verlaufe dieser schwachen, dem geschwätzigen Alter zu gute zu haltenden Darstellung keine Rücksicht auf die allerneuesten Meinungen, Überzeugungen oder Einsichten, in Kunst und Wissenschaft, in Ethischem oder Religiösem, genommen habe, so ist dieses wohl nur, was von mir in den vorgerückten Jahren, worin es mir erst vergönnt gewesen, zur Herausgabe dieses Buches zu schreiten, nicht anders erwartet werden konnte, da ich mir nicht anmaßen durfte, in den Gehalt einer jüngern Zeit hinlänglich eingedrungen zu sein. Ich hoffe jedoch, daß sich aus den mitgetheilten Reliquien selbst Überdauerndes, Bleibendes genug kundgeben wird, um die Erscheinung des Buches zu rechtfertigen. —

Die Umstände, unter welchen Runge aufgewachsen, hatten ihm eben nicht besonders andere äußere Mittel, um zu dem, was er am Ende wußte und konnte, zu gelangen, dargeboten, als Gespräche mit Freunden, und verhältnismäßig sehr weniges Lesen. Es ist gewiß Keinem, der es zu seinem Lebenszwecke besser haben kann, anzuraten, mehrere andre genügendere Quellen zu vernachlässigen. Aber ersetzt wurde bei ihm der Mangel durch die innige, unablässige und ,,bis an das Ende beharrende" Liebe, womit er die Gegenstände seiner reinsten Neigungen durchdrang und sich zu eigen machte, und in dieser Hinsicht glaube ich in dem Buche ein Menschenbild strebenden Gemütern in jedem Lebensalter vorgeführt zu haben, von dem eine reinigende erhebende Kraft auf sie auszugehen vermöchte, — und auf dessen Wiedererblicken in nicht mehr getrübter Klarheit vor dem Antlitze der Gottheit die hoffende Sehnsucht derer, die ihn hier erkannt haben und liebten, gerichtet ist.

Hamburg den 30. April 1839.


Ask23: Ask23Wiki > PhilippOttoRunge > NachrichtenLebensgang || NeuesteAenderungen | Einstellungen
Diese Seite ist schreibgeschützt | Zeige andere Versionen dieser Seite | Durchsuche MetaWiki
Letzte Änderung am December 21, 2010 2:47 pm von (protokolliert).hfbk.net (Unterschied zur Vorversion)
Suche:
Wiki des archivsystem ak23